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Parodontose-Schwingungen im Hochhaus

■ Halbzeit des Kunstprojekts „Fremd in Tenever“: Inzwischen fühlen sich die Studis fast daheim. Das Café „Gabrieli“ wird jetzt eröffnet. Bleiben soll davon die Erinnerung, bleiben wird ein Künstlerzahn im Mauerwerk

o langsam wird es was: Ein Zahn ist gezogen. 21 Portraitskizzen sind gemalt. 500 Photos geschossen. Und haufenweise saubere Kaffeetassen in die Schränke geräumt. Aus bizarren Ideen und immer neuen Gedankenspinnereien wächst das Kunstprojekt „Fremd in Tenever“. Donnerstag – nach drei Monaten arbeiten und leben in der Trabantenstadt – wurde von den Studierenden eine erste Zwischenbilanz gezogen: Noch sind die meisten ihrer Werke zwar mitten im Werden. Sie selbst aber sind ein bisschen heimisch geworden. Und das in dem Hochhausviertel, das für die meisten wie eine fremde Stadt war.

„Tenever war für mich immer nur ein Symbol“. Nie betreten, immer nur an der Autobahn dran langgefahren. „Dann war Bremen nicht mehr weit“, erinnert sich Jana. Die Hochhaussiedlung war aber nicht nur Eingang zur Stadt. Sondern vor allem auch das Synonym für Probleme, für Arbeitslosigkeit und viele Nationen in wenigen großen Hochhäusern.

Grund für 25 Studierende an der Hochschule für Künste sich diesem Stadtteil einmal anzunähern. Und dort für sechs oder sieben Monate zu bleiben: Arbeiten, manchmal übernachten, sich inspirieren lassen, aber vor allem: Erfahrungen machen.

Jana, die 500 Teneveraner porträtiert hat, kennt die Gegend inzwischen wie ihr eigentliches Wohnviertel: „Ich lauf durch die Straßen und die Menschen grüßen mich.“ Und besser als im Viertel: die Lichtverhältnisse in den oberen Stockwerken. „In dem Moment, wo ich das Licht hier im elften Stock sah, fand ich das hier eigentlich richtig schön“, meint Christiane.

Trotzdem sollte da ja eigentlich noch ein bisschen mehr passieren, wenn Künstler schon mal für insgesamt sechs Monate aus ihrem Atelier raus und unter Hochhäuserdächer gehen. „Da geschieht mit den Leuten selber was, an so einem besonderen Ort unter besonderen Bedingungen“, so die Idee der Hochschule für Künste. Die dankbar aufgenommen wurde vom Stadtteil-Quartier, von der Hauseigentümerin, der Gewoba, und dem Kultursenator, die Geld, Wohnungen und Möglichkeiten möglich machten – für die „Kunstwerkstatt Hochhaus“.

Jetzt ist also Halbzeit. Anfänge, Änderungen, Verwerfungen und Neuanfänge – so sieht die erste Bilanz aus. Wenn man genauer hinguckt sind die 20 Ideen und Sachen, die in Tenever produziert werden und alle spätestens Ende Mai ausgestellt werden, zum Teil genauso schräg wie spannend. Aber immer kommen sie daher mit jeder Menge kunstsinniger Unterfütterung.

Bücher sind das eine. Ihre Bibliothek mitbringen, wollte zum Beispiel Christiane. Die Bücher durchlöchern und an die Wand nageln, als „Haut“ sozusagen. So ganz klappt das zwar nicht. Aber was sagt das über Tenever? Liest der „Durchschnitts-Mieter“ dort nicht oder nur anders? Ganz klar wird das nicht.

Nicht ganz klar ist auch, was das mit dem Zahn soll. Während die Kommilitonen am Ende „wieder weggehen mit ihrem Zeug“, wollte Arne Spuren im Stadtteil hinterlassen. Und das mit seinem Zahn. Einen alten, den er einmauern will, „in dem anonymen Raum“, in den bald andere einziehen werden und hinter Tapeten und Beton alles, nur keine Kieferhinterlassenschaften vermuten. Vielleicht schützt der Zahn vor Karies? Oder im Gegenteil sorgt voodoomäßig für Paradontose? Wer weiß.

Das Tenever-Projekt der Hochschule soll auch eine Annäherung an die rund 6.500 Menschen im Quartier sein. Die manchmal gelingt – ganz ehrlich und offen. Zum Beispiel bei Jana oder Sabine, die via Fotos oder Ölbilder „Begegnung und Kommunikation“ in Tenever suchten. Dort auf fremde Wohnungen und Kulturen stießen, scheue Menschen kennen lernten, die sie später aber zum Essen an den Tisch baten, und von denen sich – wider Erwarten – 500 in Janas Atelier-Wohnung ablichten ließen. So viele wie wahrscheinlich noch nie in dieser Wohnung waren. In all den Jahren nicht.

Manchmal klingt aber auch anderes durch: die andere Seite von Tenever, die unschöne. Dann wird der Tonfall anders. Dann ist wieder von den „Bewohnern“ die Rede. „Die“ heißt es dann, „die in Tenever“. Fast so als würde man von Eingeborenen sprechen. Zum Beispiel, wenn es um die Jugendgangs geht, von denen man fürchtet, sie könnten den Kunstbetrieb stören und das Equipment für das Café klauen, das diesen Sonntag wiederbelebt werden wird.

Denn auch das Café „Gabrieli“ gilt als Kunstprojekt (auch wenn es nicht so wirkt) und ist keine kurzfristige Kaffeespeisung für die armen Teneveraner (wie manche offenbar schon dachten). Zwar gibt es für den Notfall eine Alarmanlage und eine Kontrollkamera im Gebäude – bloß weiß keiner, wo die Kabel hinführen und wer die Überwachungskamera überwacht. Aber auch das gehört zu Großwohnanlagen wie Tenever.

Bleiben wird von all dem Aufwand um Kunst und Stadtteil nicht viel. Nach dem 31. Mai und dem 1. und 2. Juni, den Tagen der offenen Tür in dem Kunsthochhaus, werden die 20 Projekte wieder eingepackt. Die Bücher und die Photo-Schauen. Auch das Café wird nach sieben Wochen wieder schließen. Fast so als wäre nie etwas gewesen. Aber nicht ganz: „Es bleiben viele Erinnerungen“, hofft Professor Rolf Thiele. Bei den Teneveranern, die sich freuen, dass ihr Stadtteil mal mit was anderem in die Medien kommt als mit Problemen. Und bei den Studierenden, die mit Vorurteilen im Kopf nach Tenever gezogen sind und mit Urteilen zurückgehen. „Um erinnert zu werden, muss diese kurzfristige Verwandlung vorbei sein.“ Endgültig.

Bleiben wird erst mal nur das Glitter, das Sandy noch auf den Straßen des Stadtteils streichen will. Abermillionen Glimmerpunkte in Lack verrührt, die Tenever, gerade dort wo man es am wenigsten erwartet, zum Funkeln bringen werden. Mittelfristig jedenfalls. Nur der Zahn, der wird geheimnisvollerweise wohl ewig in irgendwelchen Wohnungswänden schlummern. Unentdeckt. Aber wer weiß?

Dorothee Krumpipe

Die Eröffnung des Cafés „Gabrieli“ ist am Sonntagnachmittag. Geöffnet jeweils mittwochs (mit Filmabende), freitags (mit Konzerten) und sonntags (mit Lesungen, Konzerten) jeweils ab 15 Uhr. Ende offen. Im Einkaufszentrum, Otto-Brenner-Allee 44/46.

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