: Rosen wechseln die Besitzer
Schwungvoll: Im Jüdischen Museum führten 250 Schüler aus Hamburg Hans Krasas Kinderoper „Brundibar“ auf
Eine Kinderoper wie viele andere – das ist „Brundibar“. Ein kraftvolles, ermutigendes Kleinod – das ist „Brundibar“ auch. Beides zu sein – gefällig und gemahnend –, ist das Faszinierende an der 1938 von Hans Krasa komponierten und am Sonntag im Jüdischen Museum aufgeführten Kinderoper.
Denn der tschechische Jude Krasa wurde 1942 nach Theresienstadt, dem heutigen Terezin, deportiert. In der Festung vegetierten zwischen 1941 und 1945 auch 15.000 Kinder. Die allermeisten starben in den Vernichtungslagern, nur etwa 100 haben überlebt.
Fährt man heute nach Terezin, über sanfte Hügel, vorbei an barocken Dorfkirchen, strahlt die Festungsanlage so viel Erdigkeit und Sicherheit aus, dass das, was hinter ihren dicken Mauern für unzählige Menschen bittere Realität war, unvorstellbar bleibt. Bis heute hält sich der Irrglauben, Theresienstadt sei eine Art Wohn-KZ gewesen, Menschenhaltung ohne Blutvergießen gewissermaßen. Zu dieser Wahrnehmung trägt auch die Rezeption von „Brundibar“ bei. Die Oper wurde in Teresienstadt 55-mal aufgeführt, Hans Krasa selbst hat sie dort bearbeitet und inszeniert. Und: immer wieder neu besetzen müssen.
Bis auch er 1944 in den Gaskammern von Auschwitz ermordet wurde. In dem kurz vor seinem Tod gedrehten Propagandastreifen „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“ spielt „Brundibar“ eine wichtige Rolle. In dem Film, der Gerüchten über die Verbrechen in den Konzentrationslagern im Osten gegensteuern sollte, sind Auszüge aus der Teresienstädter Inszenierung zu sehen: Kinder, die Musik machen und singen, das Wort Schutzhaft gewann so für Gutgläubige Realität. Auch die in Deutschland aktuellste Inszenierung, die am Sonntag im Jüdischen Museum einmalig in Berlin zu hören war, wird von Kindern getragen.
Der Leistungskurs Kunst des Hamburger Christianeums hat die Oper erarbeitet, insgesamt wirken 250 Schülerinnen und Schüler mit: ein riesiger Chor, etwa zwei Dutzend Darsteller und das erstaunlich professionelle Orchester.
Erzählt wird die klassische Geschichte vom Kampf des Guten gegen das Böse, simpel und für heute heranwachsende Kinder ein bisschen zu schlicht: Die Kinder Aninka und Pepicek wollen für ihre kranke Mutter Milch holen. Da sie kein Geld haben, versuchen sie sich welches zu ersingen und werden vom bösen und ständig mit Geldscheinen wedelnden Leierkastenmann Brundibar verjagt. Mit der Hilfe dreier Tiere und der anderen Kinder singen Aninka und Pepicek den diktatorischen Brundibar aus der Stadt. So weit, so supermoralisch.
Was an der Inszenierung so beglückt, ist der sagenhafte Schwung, mit dem die im Durchschnitt etwa 13-jährigen Schülerinnen und Schüler agieren, und das überraschende sängerische Können der Schauspieler.
Am Ende der Aufführung tobt der Saal, Rosen wechseln die Besitzer, Kinder auf und vor der Bühne applaudieren sich die Hände wund. Die Zukunft gibt zu jeder Hoffnung Anlass.
ANJA MAIER
Die Oper wurde weltweit bereits mehrfach inszeniert. Mehr zu diesem Projekt unter www.brundibar.net
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