: Irreführender Begriff „Intensivtäter“
■ Politiker fordern härtere Strafen für jugendliche Wiederholungstäter. Dabei sagen Bremer Kriminologen: „Wer will, dass Leute länger straffällig sind, muss sie zu Haftstrafen verurteilen“
taz: Kann man junge Wiederholungstäter so „knacken“, dass sie ihre Opfer in Ruhe lassen? Kna-cken, ohne zu verknacken quasi?
Schumann: Intensivtäter sind keine homogene Gruppe. Bei einer Untersuchung, die ich in Hamburg durchgeführt habe, bin ich beispielsweise auf drogenabhängige 12-Jährige gestoßen. Auf Kinder, die in eine beschaffungskriminelle Szene reingerutscht sind, wo sie positive Bestätigung bekommen, die sie in der Schule nicht bekamen. Man muss also fragen: Kannst du nicht durch andere Sachen glänzen? Solche Fähigkeiten kann man fördern.
Manche denken dann an Berichte, wonach problematische Jugendliche mit Betreuern auf Schiffen segeln. Da wird gesagt: Zur Belohnung auch noch eine Schiffsreise in die Karibik!
Schumann: Man muss natürlich auch anders intervenieren, und dafür gibt es zunehmend Modelle. Besonders problematisch ist aber, wenn die Familie sich schützend vor Täter stellt und so das Jugendamt blockiert, das nur mit Einverständnis der Eltern handeln kann. Hier hat man bei der Reform des Kinder- und Jugendhilfegesetzes nicht weit genug gedacht.
Übrigens halte ich „Intensivtäter“ für einen absolut irreführenden Begriff. Er orientiert sich daran, wie häufig jemand auffällig geworden ist. Intensiv heißt also nicht, dass da ein Mensch regelmäßig ganz schwere Straftaten begeht. Es gibt für Intensivtäter nicht einmal verbindliche Kriterien. So gilt einer bei der Polizei in Bremen als Intensivtäter, wenn er im Jahr zehn Mal aufgefallen ist – ohne dass seine tatsächliche Beteiligung als Mittäter oder Haupttäter geklärt wäre, oder dass später die Beweislage für eine Anklage ausreicht. In anderen Bundesländern gelten ganz andere Kriterien, wie eine Dokumentation des BKA zeigt. Kriminologisch gibt es keine klare Begriffsbestimmung.
Wie sehen Sie die Forderung, es müsse Möglichkeiten geben, jugendliche Straftäter „wegsperren und abschieben“ zu können.
Schumann: Die Forderung ist völlig ignorant gegenüber dem Jugendgerichtsgesetz (JGG). Das sieht nur bei schwerer Schuld bis zu zehn Jahren Jugendstrafe vor. Es kann also allenfalls darum gehen, dass diese zehn Jahre ausgeschöpft werden sollen, was rechtlich meist nicht zulässig ist. Drogenabhängige beispielsweise, typische Wiederholungstäter, die aber nicht schwer straffällig werden, würde das nie treffen. Wie so eine Forderung legal umgesetzt werden soll, ist mir schleierhaft. Auch muss man wissen, dass erst 1990 die so genannte „unbestimmte Jugendstrafe“ wegen Erfolglosigkeit abgeschafft wurde. Sie sah maximal vier Jahre Haft vor, deren Ende aber der Richter – je nach Entwicklung des Jugendlichen – bestimmen sollte. Diese „Gummistrafe“ hat die Jugendlichen extrem verunsichert und zur enorm hohen Rückfallquote von 89 Prozent geführt.
Wirkt Freiheitsentzug auf Jugendliche überhaupt positiv?
Ehret: Wenn Sie meinen, ob Jugendliche nach Haftstrafen weniger delinquent sind – dafür gibt es keinen Hinweis. Es zeigt sich eher, dass die schwerer Bestraften auf der selben Tat-Ebene, meist also auf hohem Niveau, aktiv bleiben, während diejenigen, die Täter-Opfer-Ausgleich gemacht haben oder Weisungen auferlegt bekamen, sich deutlich besser entwickelt haben – fast so gut wie die, die nicht festgenommen und somit auch nicht offiziell bestraft wurden.
Schumann: Sanktionierung führt eher dazu, dass Täter ihre Taten fortsetzen, und zwar auch dann, wenn von ihrem Alter her, ab etwa 21, zu erwarten wäre, dass ihre Straffälligkeit abnimmt. Sie verhalten sich also entgegen dem Trend.
Aber sind das nicht vielleicht jene „Hard-core“-Leute, von denen jetzt auch SPD-Leute sagen, man könne ihnen nicht beikommen und müsse sie wenigstens zum Schutz der Opfer wegsperren?
Schumann: Zunächst: Das Wort „Hard-core-Leute“ suggeriert wieder, die Taten seien schwer, was nicht der Fall sein muss; es sind nur viele Taten im Jahr. Ferner lässt das JGG es nicht zu, Personen unter 20 Jahren wegzuschließen zur Sicherung der Allgemeinheit oder aus generalpräventiven Zwecken. Inhaftierung darf nur aus Gründen der Erziehung erfolgen und im Jugendvollzug muss erzogen werden können. Im Übrigen zeigen unsere Ergebnisse, dass Personen, die zuvor in hoher Frequenz delinquent waren, dies signifikant seltener fortsetzen, wenn sie nicht sanktioniert wurden.
Wenn man Ihnen zuhört, entsteht der Eindruck, als würde sich Straffälligkeit mit dem Alter verwachsen – und bis dahin schadet Strafe. Das kann doch nicht sein.
Ehret: Wenn man nach Denver schaut, wo wir das altersbezogene Strafenspektrum und seine Wirkung untersucht haben, muss man feststellen, dass dort vergleichsweise viel mehr Jugendliche in Haft kommen. In der Altersgruppe der 14- bis 17-Jährigen beispielsweise sind es dort bis zu 19 Prozent, während es in Bremen nahezu Null waren. Da die Rückfälligkeit bei Sanktionierung in Bremen und Denver ähnlich ist, fördert mehr Haft dort bei mehr Personen andauernde Delinquenz. Daraus könnte man schließen: Wer will, dass Leute länger straffällig sind, muss sie zu Haftstrafen verurteilen.
Die Bremer Debatte über jugendliche Wiederholungstäter hat die Staatsanwaltschaft veranlasst, ein eigenes Intensivtäter-Dezernat einzurichten. Gibt es so großen Handlungsbedarf?
Schumann: Über Jugendkriminalität wird immer so geredet, als würde sie schlimmer – in den 90er Jahren war es zunächst Schülergewalt, dann Rechtsradikale, jetzt sind es die Intensivtäter, die eine vermeintlich besondere Bedrohung darstellen. Teilweise fällt das mit Wahlkämpfen zusammen. Bedrü-ckend ist, dass man mit solch vereinfachten Slogans Wahlen gewinnen kann – wie Schill in Hamburg zeigt.
Was machen Kriminologen also falsch, wenn niemand auf sie hört?
Schumann: Gerade was Hamburg anbetrifft, gibt es keine Antworten. Dort hat die SPD 40 Jahre sehr fortschrittliche und erfolgreiche Kriminalpolitik gemacht. Doch irgendwie scheint die Toleranz der Politik bestimmten Teilen der Bevölkerung nicht mehr verständlich zu sein. Die Bereitschaft zu gesellschaftlichem Ausschluss ist leider gewachsen.
Hat Jugendkriminalität denn nun zugenommen?
Schumann: Das Anzeigeverhalten hat sich jedenfalls verändert. Körperverletzung wird heute eher angezeigt als noch vor 15 Jahren. Geändert hat sich auch die Zusammensetzung der Jugendlichen durch Zuwanderung. Daten des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen haben ergeben, dass man eher Leute anzeigt, die nicht der eigenen Ethnie angehören.
Im Übrigen haben wir bei der mehrjährigen Befragung von Bremer Schulabgängern auch erfahren, dass es doch etliche Jugendliche gibt, die ganz prima sind in ihrer Lehre, die Fortschritte machen als Gesellen – aber ständig klauen oder ein Doppelleben als Hooligans führen, ohne dass sie lange Zeit in einer staatsanwaltlichen Akte auftauchen. Delinquent sind also nicht nur die wenig Erfolgreichen.
Wen führt die Staatsanwaltschaft dann als Täter?
Ehret: Jedenfalls nicht die Spitze des Eisbergs, also quasi die Schlimmsten, wie viele annehmen. Zwar hat die Wahrscheinlichkeit, festgenommen zu werden, etwas mit der Tathäufigkeit zu tun – aber es gibt eben auch Gruppen, die kriminell agieren und nicht erwischt werden. Wenn aber jemand erwischt wird, dann gilt: Die Härte des Gesetzes trifft vor allem solche jungen Leute, die keine feste Arbeitsstelle oder keine Schulerfolge vorzuweisen haben. Fragen: Eva Rhode
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