: Leser sind knapp wie Tangas
Zum Welttag des Buches locken Lesungen in die Buchläden. Doch die Branche befindet sich im Strukturwandel: Große Ketten verdrängen kleine Buchhandlungen in Nebenstraßen. Oder ins Abseits
von ANSGAR WARNER
„Heute sind Leute, die lesen, knapp wie Tangas“: Die Rapper Maxeem & Rob Roy von der Frankfurter Bluntcrew müssen es wissen. Denn schließlich sind sie von der Bücherlobby gekauft worden. Ihr neuer Rap „Das sind die Bücher“, entstanden im Auftrag des Börsenvereins des deutschen Buchhandels, ist der offzielle deutsche Soundtrack für den Welttag des Buches. Über 4.000 bundesdeutsche Buchhandlungen laden heute zu einem landesweiten Fest für die Bücherfreunde ein.
Lobbyarbeit in eigener Sache kann die Buchbranche zur Zeit auch brauchen – vor allem in Berlin. Zwar ließ der Börsenverein zum Welttag des Buches verlauten, die „deutsche Buchhandelslandschaft sei trotz des Strukturwandels in ihrer Buntheit und Vielfalt einmalig“.
Doch hat der Strukturwandel, der anderswo schon abgeschlossen ist, an der Spree seit Ende der Neunzigerjahre erst so richtig eingesetzt. Detlev Bluhm, Geschäftsführer des Verbandes der Verlage und Buchhandlungen Berlin-Brandenburg, legt den Finger in die Wunde: die Verkaufsflächen im Buchhandel vor Ort hätten sich in kurzer Zeit von 50.000 auf 85.000 Quadratmeter erhöht – vor allem durch den Einstieg von Hugendubel, Thalia und Dussmann ins Hauptstadtgeschäft. Zahlreiche alteingesessene Buchhandlungen hätten deswegen in den letzten Jahren aufgeben müssen. Gerade die „kleinen, allgemeinen Sortimenter im Kiez“ seien von der Konkurrenz der großen Buchhandelsketten bedroht.
Ein Blick in die westliche Innenstadt zeigt, wie sich das Bild verändert hat: während die Bücherabteilung des KaDeWe und Hugendubel als „Global Players“ die großen Boulevards beherrschen, haben sich die kleineren Buchhändler längst in die Seitenstraßen zurückgezogen. Dort sind sie – noch – ein Bestandteil der typischen Kiezmischung: So tummeln sich etwa in der Knesebeckstraße die Romanische Buchhandlung, die traditonell anglophile Bücherstube Marga Schoeller und der schwule Buchladen Prinz Eisenherz. Am Savignyplatz unter den S-Bahn-Bögen findet man den auf Kunst, Architektur und Design spezialisierten „Bücherbogen“, und in der nahegelegenen Carmerstraße die literarisch ambitionierte Autorenbuchhandlung.
Natürlich gibt es auch die großen Fische aus der Regionalliga: so hat etwa die ortsansässige Buchhandlung Kiepert im Stadtgebiet mittlerweile neun Standorte, neben dem Hauptgeschäft am Ernst-Reuter-Platz unter anderem in einigen neu errichteten Einkaufszentren. Im Ranking der 100 umsatzstärksten Buchhändler der Republik steht Kiepert immerhin auf Platz 15.
Ein früher eher beschaulicher Ostkiez mutiert mittlerweile zum Haifischbecken: Seitdem Kiepert in den Prenzlberger „Schönhauser Allee Arkaden“ logiert, ist es für die altehrwürdige Kleist-Buchhandlung nebenan schwieriger geworden. Um die Ecke wandelt noch eine evangelische Buchhandlung mutig übers Wasser, doch viele andere Bouquinisten im Karree sind bereits von den Bugwellen der Shopping-Mall versenkt worden.
Nachdem nun auch noch die Wohlthat’sche Buchhandlung mit einer Filiale vis-a-vis der Allee Arkaden präsent ist, sind die Gewinnmargen erst recht bedroht. Nur für wohltätige Zwecke sind die Wohlthäter, die mit günstigen Angeboten aus Restauflagen die Buchpreisbindung umgehen, natürlich nicht unterwegs. „Wohin Sie auch kommen – wir sind meistens schon da“, wirbt man in eigener Sache, und das stimmt wohl auch: Allein in Berlin gibt es 17 Wohlthat-Filialen.
Eines aber haben die auf verkaufsstarke Mainstream-Ware abgestimmten Discounter natürlich nicht auf Lager: Fach- und Spartenliteratur. Für solche Bedüfnisse werden wohl auch in Zukunft die Spezialisten da sein, so etwa die Universitätsbuchhandlungen in Dahlem oder Berlin-Mitte, die Krimibuchhandlung Hammett in Kreuzberg, der Kinderbuchspezialist Kloeden in Charlottenburg oder die Nautische Buchhandlung in Lichterfelde.
Eine Schätzung des Verbandes der Verlage und Buchhandlungen Berlin-Brandenburg hat ergeben, dass aufgrund dieser Spezialisierung im Berliner Buchhandel über 450.000 von derzeit 860.000 überhaupt lieferbaren Büchern am Lager geführt werden. Eine „regional beispiellose Angebotsbreite im Interesse der Kunden“, lobt der Verbandsvorsitzende Detlev Bluhm.
Bleibt zu hoffen, dass der Welttag des Buches dazu beiträgt, die verbleibenden Leser weiter an die bestehende Buchhandelslandschaft zu binden. Der sechzehnjährige Rapper Rob Roy jedenfalls ist schon auf der richtigen Seite, zumindestens im Prinzip: „Ich bin nicht der größte Buchfan, aber andere können es ruhig mal werden.“
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