„Für die SPD besteht Gefahr“

Der Parteienforscher Richard Stöss sieht Parallelen zwischen Sachsen-Anhalt und Berlin. Das Problem der SPD ist weniger das Bündnis mit der PDS als die eigene Profillosigkeit

taz: Herr Stöss, müssen nach dem Absturz der SPD in Sachsen-Anhalt jetzt auch die Berliner Sozialdemokraten um ihre Zukunft bangen?

Richard Stöss: Die SPD in Sachsen-Anhalt steckt in der Zwickmühle zwischen der CDU, die eher für Wirtschaftskompetenz steht, und der PDS, die eher für soziale Gerechtigkeit steht. Die SPD steht profillos in der Mitte und ist damit nicht mobilisierungsfähig. Diese Gefahr besteht für die SPD in allen neuen Bundesländern und auch in Berlin. Wir wissen aus Wahlanalysen, dass sich die SPD auch hier schwer tut, ein eigenes Profil zu entwicklen.

Als ein wichtiger Grund für das Scheitern von Reinhard Höppner wird die Zusammenarbeit mit der PDS genannt. Die gibt es es auch in Berlin. Sehen Sie Parallelen?

Nach meiner These ist es nicht so enscheidend, mit wem die SPD koaliert, sondern wieviel Profil sie zeigen kann. Eine profillose SPD würde in einer großen Koalition genauso große Schwierigkeiten haben wie in einem rot-roten Bündnis, und die hatten sie in Berlin ja auch.

Sehen Sie bei den Berliner Sozialdemokraten ein solches Profil?

Fairerweise muss man sagen, Klaus Wowereit ist als Regierender Bürgermeister erst hundert Tage im Amt und hat einen riesigen Berg von Problemen zu bearbeiten. Man muss ihm noch etwas Zeit geben. Aber im Augenblick bin ich skeptisch. In Berlin muss sich die SPD nicht nur gegen CDU und PDS behaupten, sondern auch zu ökologischen und libertären Werten, für die die Grünen stehen, und zur FDP und ihrem Neoliberalismus positionieren. Bei der SPD hat man von allem ein bisschen, aber niemend erkennt mehr das Gesamtkonzept.

Womit könnte die Berliner SPD punkten?

Die SPD darf die Kompetenz für die Lösung der sozialen Probleme nicht an die PDS abgeben, sie darf auch nicht die postmateriellen Werte übersehen und sie darf die Wirtschaftskompetenz nicht Gysi überlassen. Wenn die SPD nur die Partei ist, die eine stramme Finanzpolitik macht, und dabei auch noch mit den Gewerkschaften, den Initiativen, dem Wissenschafts- und Kulturbereich in Konflikt gerät, das reicht nicht aus.

Ein Ziel einer Zusammenarbeit mit der PDS ist auch deren Entzauberung. Ist dieses Konzept mit Sachsen-Anhalt gescheitert?

Die Situation in Berlin ist ja eine andere als in Sachsen-Anhalt, weil es hier eine SPD-PDS Koalition gibt, die PDS in Magdeburg aber nicht an der Regierung beteiligt und damit in einer sehr komfortablen Position war. Aber in Mecklenburg-Vorpommern zeigt sich, dass die PDS dort nicht in der Lage ist, ihre Blütenträume wahr zu machen, sich das aber in Umfragen nicht niederschlägt. Die PDS hat eine stabile Stammwählerschaft.

Die PDS kann also ungestraft alles mitmachen?

Nein. Aber die PDS hat in Sachsen-Anhalt und besonders in Mecklenburg-Vorpommern, um Akzeptanz zu gewinnen, sehr viel mitgemacht. Das kann man in Berlin bei Harald Wolf und anderen PDS-Führungspersönlichkeiten jetzt auch beobachten. Für die Parteimitglieder ist es nicht immer leicht, das nachzuvollziehen. Die Frage, ob sich PDS oder SPD in der rot-roten Koalition hier besser profilieren können, wage ich jetzt noch nicht zu beantworten. Aber derzeit haben vor allem die Sozialdemokraten ein Problem.

INTERVIEW: SABINE AM ORDE