Kein Frühlingsfest der E-Musik

Gute Musikdokus kriegen bestenfalls schlechte Sendeplätze. Deshalb hat Bremen jetzt ein neues Fernsehforum. Dort erklärte ARD-Programmchef Günter Struve, warum er neue Musik künftig aus dem Ersten in einen extra Spartenkanal verbannen will

aus Bremen HENNING BLEYL

Sie haben am Samstag in der ARD „Das Frühlingsfest der Volksmusik“ verpasst? Macht nichts, gestern brachte des Erste ja „Die Schlagerparade der volkstümlichen Musik“. Und heute läuft bestimmt ein vergleichbares Format. Denn in Sachen Musik lässt sich das öffentlich-rechtliche Fernsehen wirklich nicht lumpen. Nie zuvor gab es so viel Beschwingtes – nie zuvor war das Publikum so senioral.

Welche Rolle Musik außerhalb von Festen und Paraden im Fernsehen spielen kann, war jetzt Thema eines viertägigen Forums in Bremen. Katrin Rabus, Galeristin und vertreten in diversen Beiräten von Arte und ARD, organisierte erstmals „The Look of the Sound – Musik im Fernsehen der Zukunft“, das von nun an alle zwei Jahre stattfinden soll. Thema: Welche Chancen hat Musik als eigenständige Kunstform im TV – jenseits von Filmmusik, Video-Clip und Volkstümelei?

Goldberg statt Testbild

Gemeint war vor allem der anspruchsvolle E-Musikfilm, etwa in Gestalt von Porträts zeitgenössischer Komponisten – und dies wiederum exemplarisch für die derzeitige Rolle von Kultur im Fernsehen. Die beste Andekdote der ganzen Tagung erzählte Bruno Monsaingeon, der Altmeister des Musikfilms. Als Monsaingeon noch keine Legende und sein erster Glenn-Gould-Film gerade im Kasten war, streikte das französische Staatsfernsehen – an einem Samstagabend. Als Alternative zum Pausenbild behalf man sich mit den von Gould gespielten Goldberg-Variationen. Und siehe, am Montag drauf waren die Plattenläden ausverkauft. So geschehen 1974, als das französische Publikum noch keine Kulturflucht in die privaten Kanäle begehen konnte.

Kann man die Menschen also zu ihrem Fernsehglück zwingen? Nicht mit Günter Struve. Das Motto „Wir senden weiter, bis es euch gefällt“, sei zynisch – und „alibihaft“ aufrechterhaltene Sendeplätze kann Struve überhaupt nicht leiden. Vor allem nicht, wenn deren Quote ins Unmessbare sinkt. Und messen können die Media-Datler erst ab 10.000 Zuschauern. Also: Neue Musik und dergleichen raus aus dem Hauptprogramm – Struve ließ sich angesichts der Quantitäten auf keine Qualitätsdiskussion ein. Dafür stellte er in Bremen die Schaffung eines eigenen Musikkanals in Aussicht. Noch in diesem Jahr wolle die ARD einen digitalen Spartenkanal ohne Quotenzwang für „anspruchsvolle Musik aller Richtungen und Gattungen“ einrichten. Werbungsfrei, mit garantierten 100 Stunden Neuproduktion pro Jahr (was angesichts der ARD-internen Planungen, E-Musikproduktionen künftig nur noch WDR, SWR und Bayerischem Rundfunk zu gestatten, durchaus notierenswert ist). Der Spartenkanal – ein El Dorado für Kultursucher?

Die in Bremen versammelte Fachwelt reagierte verhalten. Man wolle sich ja gerade nicht marginalisieren lassen, betonte Bettina Ehrhardt, Regisseurin des in diesem Jahr vielfach preisgekrönten Films „Eine Kielspur im Meer“ über die Freundschaft zwischen dem Dirigenten Claudio Abbado und dem KomponistenLuigi Nono. Den habe sie doch nicht für ein Spezialpublikum gemacht, sondern eher für musikalisch Unbeleckte. Und auch Katrin Rabus bestand darauf, „das Massenmedium nicht aus seiner Verantwortung“ zu entlassen. Denn: „Was nicht im Hauptprogramm ist, findet für sehr viele überhaupt nicht mehr statt.“

Jenseits des Kanals ist man den Weg mit dem Spezialkanal gerade gegangen. Seit zwei Monaten sendet die britische BBC auf Channel 4 ein reines Kulturprogramm. Der entscheidende Unterschied zu den ARD-Plänen: BBC 4 ist über Antenne empfangbar. Und das Hauptprogramm bleibt gesetzlich verpflichtet, regelmäßig hohe Kunst zu senden – gelegentlich auch zur Primetime. „So erreichen wir jedes Mal eine halbe Million Menchen“, erklärt BBC-Mann Jonathan Haswell. Dass man den Publikumsgeschmack mit medienpolitischen Entscheidungen durchaus ein wenig lenken kann, zeigen auch die unterschiedlichen Quoten von Arte Deutschland und Arte France: Hierzulande dümpelt sie im Kabel bei 0,8, während immerhin drei Prozent der Franzosen ihre Antenne zum Empfang des Kulturkanals nutzen. Übrigens fanden sich in Bremen auch Vertreter der Radikal-Position, hohe Kultur passe sowieso nicht ins Fernsehen, der Streit sei also überflüssig.

Senta Berger forever

Doch bei „The Look of the Sound“ war auch zu erleben, dass Fernsehen der Musik richtig gut tun kann – sogar in Form des oft geschmähten Konzertmitschnitts. Das Festival unterfütterte diesen Anspruch mit der deutschen Erstaufführung von Jonathan Haswells Strawinsky-Film „Rite of Spring“ und mit Larry Weinsteins Hanns-Eisler-Porträt „Solidaritätslied“. Filme, die trotz möglicherweise schlechter Tagesquote Langzeitwirkung beanspruchen können – ganz abgesehen davon, dass sie nicht zu ersetzende musikgeschichtliche Dokumente sind. Aber seien wir nicht so streng. Die ZDF-Sendung „Achtung Klassik“ ist auch nett. Und Moderatorin Senta Berger ist immerhin ein fernsehgeschichtliches Dokument.