DIE TARIFRUNDE 2002 FÜHRT IN DEN STREIK. ES GIBT SCHLIMMERES: Wir alle sind Leichtmetaller
Erst mal ganz sachlich: Wahrscheinlich wird der Streik in der Metallindustrie kein dramatisches Ereignis. Keine Arbeitsplätze gehen verloren, die Unternehmen verlassen nicht scharenweise den Tarifverband. Und es gibt ein paar zehntel Prozentpunkte mehr für die Arbeitnehmer in der Metallindustrie. Genau dafür sind Streiks nämlich da: höhere Löhne für Beschäftigte zu erkämpfen. Nicht mehr und nicht weniger.
Die IG Metall hat ohnehin ein Interesse daran, den Streik nicht ausarten zu lassen und damit vielleicht die Wahlchancen der SPD zu schmälern. Die Unternehmen sollen diesmal rollierend immer nur ein, zwei Tage bestreikt werden. Das verhindert „Fernwirkungen“ etwa auf Arbeitnehmer in anderen Betrieben; die Auswirkungen des Streiks sind so leichter zu kontrollieren. Während des Arbeitskampfs wird weiterverhandelt. Es kann also gut sein, dass dieser Streik kürzer dauert als der Arbeitskampf 1995 in Bayern, der nach zwei Wochen mit einem Tarifabschluss endete. Im internationalen Vergleich ist Deutschland ohnehin ein Land mit wenig Streiktagen.
Kein Grund zur Aufregung also, erst recht nicht, wenn IG-Metall-Chef Klaus Zwickel damit droht, jedem, der sich in den Arbeitskampf einmische, „eine blutige Nase“ zu verpassen. Die Tarifpartner verkleiden sich in Verhandlungsrunden immer auch als knallharte Kombattanten. Ein bisschen Karnevalsstimmung muss sein.
Trotzdem wäre es falsch, den Arbeitskampf nur als eine Art Politfasching zu verstehen. Interessant ist immer noch die öffentliche Wahrnehmung. Denn auch wenn die alten Rituale bleiben, die Welt hat sich verändert. Und da stellt sich die Frage, ob es der IG Metall gelingt, immer noch Verständnis zu wecken für das lauteste Verteilungsritual, das es in Deutschland gibt. Werden die Metaller in den nächsten Wochen wieder dastehen als letzte Kämpfer für Gerechtigkeit oder nur als Besitzstandswahrer einer ohnehin privilegierten Arbeitnehmerschaft? Kurz gefragt: Sind wir alle auch ein bisschen Metaller oder nicht?
Die Antwort lautet: Ja. Wir alle sind ein bisschen Metaller, zumindest Leichtmetaller. Notgedrungen. Denn jenseits der Tarifrunden hat sich bis heute kein anderes Verteilungsritual etablieren können. Keine Verhandlungen, in denen zugunsten der wirklich Schwachen gefochten wird, zugunsten der Arbeitslosen, der prekär Beschäftigten, der nicht tariflich Bezahlten. Die vergangenen Jahre mit den gescheiterten Gesprächen im Bündnis für Arbeit haben das deutlich gezeigt. Deswegen muss man sich auch dieses Ritual der „starken Schwachen“ wieder anschauen. Solange es nichts Besseres gibt. BARBARA DRIBBUSCH
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