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Die deutsche Filiale der Islamisten

Die ausgehobene Al-Tawhid-Zelle soll logistisch in ein internationales konspiratives Netz eingebunden sein – vermutet der Generalbundesanwalt

von PASCAL BEUCKER und Yassin Musharbash

Die Informationen sind noch mager, die Konturen bleiben unscharf: Wer verbirgt sich hinter der mutmaßlichen deutschen Zelle der islamistisch-palästinensischen Bewegung al-Tawhid? Die Staatsbürgerschaften der elf am Dienstag Verhafteten seien „bunt gemischt durch den Nahen Osten“, darunter Palästinenser, Jordanier, Iraker, heißt es aus dem nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz. Als Kopf der Gruppe gilt der in Essen wohnende 36 Jahre alte Palästinenser Yaser H. Er und die anderen in Nordrhein-Westfalen lebenden Verdächtigen wurden gestern unter scharfen Sicherheitsvorkehrungen dem Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe vorgeführt.

Keine Verbindungen

Ob Generalbundesanwalt Kay Nehm gegen alle einen Haftbefehl beantragen wird, wollte die Bundesanwaltschaft gestern nicht mitteilen. Es sei davon auszugehen, dass eine Reihe der Männer in Untersuchungshaft genommen würde, verlautete aus Sicherheitskreisen.

Schily sagte gestern in Berlin, es scheine sich um eine eigenständige Gruppe zu handeln. Ob es eine Verbindung zur Al-Qaida-Organisation Ussama Bin Ladens gebe, könne noch nicht abschließend gesagt werden. Einen Bezug zum Anschlag auf die Synagoge auf der tunesischen Insel Djerba am 11. April, bei dem elf deutsche Touristen ums Leben gekommen waren, schloss Schily hingegen aus. Auch zu den vier Islamisten aus dem Duisburger Raum, gegen die im Zusammenhang mit dem Anschlag in Djerba wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, besteht nach den bisherigen Erkenntnissen des NRW-Verfassungsschutzes keine Verbindung.

Nur ein Teil der Beschuldigten sei zuvor durch islamistische Aktivitäten aufgefallen, andere hätte bislang „nur“ mit Passfälschung und mit Schleuserkriminalität in Verbindung gebracht werden können. Und einige von ihnen absolvierten eine militärische Ausbildung in Afghanistan. „Das ist Fakt“, so ein Verfassungsschützer zur taz.

Laut den Erkenntnissen der Bundesanwaltschaft war die jetzt ausgehobene Al-Tawhid-Zelle in ein internationales konspiratives Netz eingebunden, das unter anderem ihre logistische und finanzielle Unterstützung sicherstellte. Ihr Kopf Yaser H. soll vielfältige Beziehungen zu Kontaktleuten in ganz Deutschland unterhalten haben.

Generalbundesanwalt Nehm befürchtet denn auch, dass es noch weitere Teile des Netzwerkes in der Bundesrepublik gibt. „Was sich in anderen Bereichen tut, darüber kann man nur Vermutungen anstellen“, so Nehm. Nach den bisherigen Erkenntnissen der Behörden unterstützt und fördert Al-Tawhid den „heiligen Krieg“ ihrer Glaubensbrüder. Die deutsche Zelle soll auch afghanische Kämpfer logistisch unterstützt haben. Der Generalsekretär der „Islamischen Einheitsbewegung“ Tawhid, Scheich Bilal Schaaban, dementierte inzwischen in der nordlibanesischen Stadt Tripolis, dass diese Verbindungen zu Deutschland habe. „Wir haben keine Filialen außerhalb Libanons“, zitierte ihn die Nachrichtenagentur AP.

Die Vertreter der palästinensischen Generaldelegation in Deutschland, der inoffiziellen Botschaft der Palästinenser, wurden von den Festnahmen indes ebenso überrascht wie die Öffentlichkeit. „Wir haben noch nie von einer Gruppe namens al-Tawhid gehört“, sagte der Pressesprecher Mustafa Schahade im Gespräch mit der taz. Bisher hätten die deutschen Behörden auch noch keinen Kontakt mit der Generaldelegation aufgenommen. Zu diesem Zeitpunkt wisse er nicht einmal, ob es sich bei den Festgenommenen um Palästinenser oder aus Palästina stammende Staatsangehörige anderer Länder handele.

Gruppe in Duisburg?

Auch den islamischen Verbänden in Deutschland sind die Hintergründe der Festnahmen vom Montag nicht bekannt. Ayman Mazyek, Pressesprecher des Zentralrats der Muslime in Deutschland, sagte allerdings, er habe von einer Gruppe namens al-Tawhid in Duisburg gehört, die sich aber „schon vor Jahren von der muslimischen Community verabschiedet“ habe. Sie habe eine „Hinterhofmoschee“ betrieben. Aber nähere Zusammenhänge seien ihm nicht bekannt, auch nicht, ob es sich dabei überhaupt um ein und dieselbe Gruppe handelt.

Die jetzt Verhafteten sollen bereits längere Zeit beobachtet worden sein. Nach Einschätzung der Ermittlungsbehörden könnte die Gruppe auch Terroranschläge in Deutschland vorbereitet haben. Wegen des dringenden Tatverdachts habe man schließlich zugegriffen. Insgesamt wurden bei den Razzien 19 Objekte in Essen, Düsseldorf, Krefeld, Georgsmarienhütte, Berlin, München, Regensburg, Nürnberg, Hamburg und im westfälischen Beckum durchsucht. Dabei stellten die Ermittler nach eigenen Angaben mehrere Computer, Disketten, Fälschungsutensilien und Dokumente zur Verfügung. „Wir hatten ernsthafte Hinweise, dass eine Tat im Planungsstadium war“, sagte Nehm. Er wollte nicht ausschließen, dass ein möglicher Anschlag sich gegen jüdische oder amerikanische Einrichtungen in Deutschland richtet sollte.

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