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Das ungarische Unbehagen

aus Nádudvar KENO VERSECK

Die Frage, wie viel ungarisches Schweinefleisch in „original ungarischer Salami“ steckt, mag bei Pick-Salami niemand beantworten. Auch nicht nach wochenlangen Anfragen für einen Gesprächstermin bei der Firma. Mediale Aufmerksamkeit hat der im südungarischen Szeged ansässige und in Ungarn ebenso wie im westeuropäischen Ausland geschätzte Hersteller von ungarischer Markensalami nicht nötig. Und Fragen nach der „Authentizität“ der ungarischen Salami können eher schaden.

Deshalb tut sich die Pick-Unternehmensleitung auch schwer mit einer Antwort darauf, wie stark der EU-Beitritt Ungarns den Erfolg des Unternehmens beeinträchtigen könnte und wie sie mit der Öffnung des ungarischen Marktes für landwirtschaftliche Produkte aus EU-Ländern umgeht. Doch die Frage drängt, schließlich wird Ungarn – wenn nichts mehr schief geht – schon 2004 Mitglied der EU sein.

Hinter vorgehaltener Hand sagt ein Firmenvertreter: „Wir fürchten uns nicht vor einem EU-Beitritt Ungarns. Für uns spielt es keine so große Rolle, wie viele Subventionen die ungarischen Bauern in Zukunft bekommen werden. Wir kaufen ein, was am günstigsten ist.“ Und das kann eben auch im Ausland sein.

Das Thema der Agrarsubventionen nach einem EU-Beitritt Ungarns hat in den vergangenen beiden Monaten im Land für Diskussionen gesorgt. Und nicht nur hier, sondern auch in Polen, Tschechien und der Slowakei – den so genannten Visegrád-Ländern. Während einige von ihnen mitten in den komplizierten Verhandlungen um das heikle Beitrittskapitel Landwirtschaft stecken, darunter auch Ungarn, veröffentlichte die Brüsseler EU-Komission Ende Januar ihren Vorschlag, wie sie die osteuropäischen Beitrittskandidaten in der Frage der Agrarsubventionen zu behandeln gedenkt: Die ab 2004 beitretenden Länder sollen anfangs nur 25 Prozent der in der Alt-EU gezahlten Direktbeihilfen erhalten und erst innerhalb einer Übergangsfrist von zehn Jahren schrittweise in den Genuss der vollen Förderung kommen.

Der Vorschlag ist nicht so ungerecht, wie er in den Kandidatenländern empfunden wird: Denn die EU will vermeiden, dass durch zu hohe Subventionen alte Landwirtschaftsstrukturen in den Beitrittsländern konserviert werden. Stattdessen sollen die neuen EU-Mitglieder mehr Gelder für Dorf-, ländliche und Regionalentwicklung bekommen. Außerdem, argumentiert die Brüsseler Seite, würden die Direktsubventionen auch innerhalb der alten EU langsam abgebaut. Und schließlich hätten die Bauern in den neuen EU-Ländern mit ihren ohnehin niedrigeren Produktpreisen einen Konkurrenzvorteil.

Dennoch sorgte der EU-Vorschlag für Empörung unter mittelosteuropäischen Politikern. „Völlig inakzeptabel“, nannte der gerade abgewählte, nationalkonservative ungarische Regierungschef Viktor Orbán die Brüsseler Position. Falls die EU nicht nachgebe, so Orbán, könne sich Ungarn auch ein Leben außerhalb der EU vorstellen. Der künftige ungarische Ministerpräsident Péter Medgyessy kritisierte die EU-Position als „unfair“. Auf einem demnächst stattfindenden Gipfeltreffen wollen die Regierungschefs der Visegrád-Länder gemeinsam fordern: Gleiche Rechte, gleiche Pflichten.

Iván Novobáczky sieht das alles viel gelassener. Der Direktor eines großen ungarischen Schweinezuchtbetriebs kann sich über die EU nicht empören. „Unsere Landwirtschaft ist auf dem Altar der nationalen Politik geopfert worden, daran hat die EU keine Schuld. Alle ungarischen Regierungen nach 1989, alle ohne Ausnahme, haben es versäumt, unsere Landwirtschaft gut auf einen Wettbewerb mit der Europäischen Union vorzubereiten.“

Iván Novobáczky leitet das Unternehmen Hage im südostungarischen Nádudvar, das zu den fünf größten ungarischen Schweinefleischproduzenten zählt und einer der wenigen landwirtschaftlichen Großbetriebe ist, der nach 1989 nicht auseinander brach. Hage hat 1.500 Angestellte und verfügt von einem Futtermittelhersteller bis hin zu einem Fleischkombinat über ein komplettes Firmenkonglomerat zur Fleischverarbeitung. Dem Unternehmen geht es besser als vielen ungarischen Agrarbetrieben. Aber auch Hage bekommt die seit Jahren veränderten Markt- und Wettbewerbsbedingungen immer stärker zu spüren. Der Export von Schweinefleisch, für Hage lange Zeit die wichtigste Säule des Geschäfts, ist in den letzten Jahren drastisch zurückgegangen. Einzig die Ausfuhr von qualitativ hochwertig verarbeiteten Fleisch- und Wurstwaren, darunter nach Großbritannien, Spanien, Schweden, Russland, Japan, Korea und auch nach Tschechien, lohnt noch. In Ungarn selbst ist der Rohfleischverkauf für einen Großproduzenten wie Hage gerade noch rentabel. Auch für die Pick-Salamifabrik hat Hage zeitweilig Schweinefleischkontingente geliefert. Doch das ist vorbei. Pick hat wohl günstigere Lieferanten gefunden. Schwierig wurde das Geschäft für Hage 1995. Durch Ungarns damals in Kraft tretenden Assoziierungsvertrag mit der EU fielen die Zollschranken beim Lebensmittelhandel schrittweise. Wegen seiner Mitgliedschaft in der Welthandelsorganisation WTO musste Ungarn Exportsubventionen für Fleisch seit dem letzten Jahr streichen. Der ungarische Staat selbst vergibt auch sonst keine Subventionen mehr an Fleischproduzenten. Zum einen erlaubt das die staatliche Finanzlage nicht, zum anderen führt Ungarn derzeit schrittweise das EU-Subventionsmodell ein, bei dem nur Produzenten von pflanzlichen Lebens- und Futtermitteln direkte Subventionen bekommen, die dann indirekt auch deren Verbrauchern wie Schweinezüchtern zu Gute kommen. Einzig beim Verband der ungarischen Fleischproduzenten kann Hage eine Unterstützung beantragen. Doch die beträgt im günstigsten Fall gerade zwei Prozent des Kiloverkaufspreises für Schweinefleisch.

Während das Geschäft einbrach, musste Hage in den letzten Jahren zugleich die meisten Betriebsteile modernisieren, um Qualitätsansprüche für das Exportgeschäft und EU-Tierzucht- und Lebensmittelrichtlinien zu erfüllen, die in Ungarn schrittweise eingeführt werden. Welches Ausmaß diese Modernisierung erreicht hat, ist beim Futtermittelhersteller Kabai Táp zu sehen, der zum Hage-Konglomerat gehört. Stolz zeigt der Direktor László Horváth die neuen Anlagen, die aus Holland stammen. Seit Januar 2001 läuft die Produktion für Schweinefutter vollständig nach EU-Standards. „Wir verwenden beispielsweise keine Medikamente mehr, kein Fleischmehl, kein Tierfett und keine genmanipulierten Pflanzenbestandteile“, sagt Horváth.

Die Investitionen kosteten Millionen Euro. „Sie waren nötig, damit wir auf dem Markt bleiben“, sagt Horváth. „Ob wir damit auf Dauer überleben, ist fraglich. Staatliche Unterstützung haben wir keine bekommen. Auf Regierungsebene wird nicht unbedingt erkannt, dass die Modernisierung gefördert werden muss.“ Das ungarische Landwirtschaftsministerium weist solche Kritik zurück. Zoltán Somogyi, der Leiter der Abteilung EU-Verhandlungen, präsentiert optimistisch Zahlen und Fakten. Nur etwa zehn Prozent der ungarischen Beschäftigten arbeiten in der Landwirtschaft, die ihrerseits mit acht Prozent zum Bruttosozialprodukt beiträgt. Das sind die besten Werte unter allen EU-Beitrittskandidaten. Überall anders sind mehr Menschen im Agrarsektor beschäftigt, ist dieser unproduktiver. Ungarn ist zudem das einzige Land unter den Kandidaten, das bei Agrarprodukten eine positive Außenhandelsbilanz hat. Fast alle ungarischen Lebensmittel entsprechen EU-Standards.

„Einen großen Zusammenbruch in der ungarischen Landwirtschaft wird es nach Ungarns EU-Beitritt nicht geben“, sagt Somogyi selbstsicher. Ungarns Landwirtschaft sei konkurrenzfähig, weil sie viele spezifisch ungarische Produkte zu bieten hätte, so Somogyi, und weil sie beispielsweise auch eine Quasi-Biolandwirtschaft sei, denn die Bauern würden aus Geldmangel weitaus weniger Düngemittel und andere Chemikalien benutzen als ihre westlichen Kollegen.

Warum dann also dieser Aufschrei bei der Frage der EU-Subventionen? In dieser Frage versteht Regierungsvertreter Somogyi die Unzufriedenheit mancher ungarischer Bauern. Der Staat vergab letztes Jahr 900 Millionen Euro Subventionen an Bauern – nur ein Bruchteil der Summen in EU-Ländern. Den EU-Vorschlag von Januar bezeichnet Somogyi als „einfach nicht hinnehmbar“. Vorstellbar sei ein Kompromiss, so Somogyi, etwa dass Ungarn in der Übergangszeit weniger EU-Beiträge zahle und mit der gesparten Summe die Agrarsubventionen aus der EU-Kasse ergänze. Ivan Novobáczky meint, Ungarns Regierende hätten auch ohne Geld mehr für die Landwirtschaft tun können. Ebenso wie für ausländische Investoren, so Novobáczky, hätte für einheimische Agrarbetriebe mit Steuererleichterungen und anderen günstigen Wirtschaftsgesetzen ein besseres ökonomisches Klima geschaffen werden müssen. Auch seien die ehemaligen Osthandelspartner Ungarns, darunter vor allem Russland, politisch vor den Kopf gestoßen worden, statt die Handelsbeziehungen mit ihnen zu pflegen.

Novobáczky glaubt daher nicht, dass Hage langfristig eine eigenständige Zukunft hat. „Um in der EU zu überleben, müssten wir mindestens doppelt so groß sein“, sagt er müde. „Auch uns wird eines Tages jemand kaufen. Bis dahin versuche ich, die Firma auf Spitzenniveau zu halten. Und ich werde aufpassen, dass sie einen guten Preis erzielen wird.“

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