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Der fette Bastard ist tot

Zwei Tage vor seinem heutigen 60. Geburtstag starb der irische Schriftsteller McGuffin

Seine Erzählungen, man hält es kaum für möglich, haben alle einen wahren Kern

Ich verdanke ihm den Spitznamen, unter dem man mich in Belfast kennt. Nachdem ich John McGuffin 1976 in der nordirischen Hauptstadt kennen gelernt hatte, besiegte ich ihn mehrmals im Scrabble, wobei es dreifache Punkte für schmutzige Worte gab. Fortan nannte er mich „The Clever Hun“, der kluge Hunne. Später vergeigte ich den Titel, als ich drei Polizisten versehentlich den gestreckten Mittelfinger zeigte, weil sie uns auf dem Weg ins Wirtshaus durch ihre langsame Fahrweise aufhielten, während die Zapfhähne zu versiegen drohten. Einer der Beamten sagte zu mir: „Hast du ein Glück, dass wir unsere Uniformen anhaben, sonst würden wir dich jetzt verprügeln.“ Ich wollte gerade einwenden, dass sie sich dadurch doch noch nie davon abhalten ließen, als ich McGuffins Blick sah: Sag es nicht, drückte er aus, sonst können wir den Pub vergessen.

Die Mittwochabende im „Cobweb Castle“, seinem Haus in Belfast, waren legendär. Es war der Treffpunkt für die Lumberjacks, einer „schattenhaften Widerstandsgruppe“, wie McGuffin in seinem Buch „Last Orders“ weismachen will. In Wirklichkeit war es eine Vereinigung von Suffpatrioten. McGuffin arbeitete damals als Dozent an einem Belfaster College, doch im Alter von 35 Jahren wurde er aufgrund einer mysteriösen Krankheit zum Frührentner erklärt. Anfang der Achtzigerjahre wanderte er in die USA aus, nannte sich von da an Sean, lebte 19 Jahre lang in einem Haus mit Blick auf „Frisco Bay“ und betrieb eine Anwaltskanzlei.

Danach kehrte er nach Derry im Nordwesten Nordirlands zurück und widmete sich wieder voll der Schriftstellerei. Schon 1973 hatte er, nachdem er von der britischen Armee interniert worden war, ein Buch über die Internierungspolitik („Internment“, 1973) geschrieben, ein Jahr später folgte ein Werk über die Foltermethoden der britischen Armee („The Guineapigs“, 1974). Vier Jahre später wurde bei seinem dritten Buch klar, in welche Richtung sein wahres Interesse ging: Das Buch handelt von schwarzgebranntem Whiskey („In Praise of Poteen“, 1978).

Freilich ließ er es nicht bei der Theorie bewenden. In den Siebzigerjahren kam ich einmal in den zweifelhaften Genuss seines hausgemachten Brennnesselweins. Er war ungenießbar. Um ihn nicht in den Ausguss kippen zu müssen, destillierte McGuffin die trübe Brühe und verwandelte sie in Brennnesselschnaps. Das Ergebnis war verheerend. Der potente Tropfen verursachte bei allen Versuchskaninchen Magenkrämpfe und Durchfall. McGuffin lagerte die Flaschen in einer Abstellkammer, wo sie blieben, bis die Drogenfahndung mal wieder im „Cobweb Castle“ vorbeischaute. Zwar fanden die Beamten das Marihuana nicht, das unter dem Sattel des töchterlichen Schaukelpferdes versteckt war, aber sie stießen auf die Flaschen in der Kammer. „Bedienen Sie sich, meine Herren“, ermunterte McGuffin die Drogenfahnder großzügig. Es war die kürzeste Hausdurchsuchung, die „Cobweb Castle“ je erlebt hatte.

In jenen Jahren schrieb McGuffin eine Reihe von Kurzgeschichten, die in der Übersetzung von Jürgen Schneider in der Edition Nautilus auf Deutsch erschienen sind. Darin ging es unter anderem um zwei misslungene Banküberfälle, um einen bekifften Hochzeitsgast und um einen zu allem entschlossenen IRA-Kämpfer. Außerdem verrät McGuffin, was geschieht, wenn ein largactylisches Raumschiff auf der Suche nach frischem Stickstoff im Moor der Grafschaft Fermanagh landet.

Seine Erzählungen, man hält es kaum für möglich, haben alle einen wahren Kern, wenn der Autor auch bei der Dramaturgie des Öfteren nachgeholfen hat. Viele seiner Freunde und Bekannten finden sich in den Stories wieder. Aus den USA schickte er zwei Buchmanuskripte an seinen deutschen Verlag. „Der Hund“ ist ein turbulentes Werk, in dem es von Kamikaze-Aktionen, perfiden britischen Agenten und aufrechten Revolutionären nur so wimmelt. „Der fette Bastard“ ist eine Art Autobiografie, in der allerdings McGuffins vier gespaltene Persönlichkeiten zu Wort kommen, was ziemlich vergnüglich zu lesen ist, wenn man zuvor Drogen eingenommen hat. Kein englischsprachiger Verlag wollte die Bücher drucken, was den Chefredakteur einer deutschen Wochenzeitung zu der Vermutung veranlasste, dass McGuffin eine Fiktion war. Schließlich hatte Alfred Hitchcock den Begriff „McGuffin“ für etwas verwendet, das es eigentlich gar nicht gibt.

Aber es gab ihn sehr wohl, mein Belfaster Apotheker, der mich stets mit Tabletten gegen den „Hangover“ versorgte, ist mein Zeuge. An McGuffin habe ich immer bewundert, dass er nach einer durchzechten Nacht frühmorgens stets in seinem Büro saß und mehrere intelligente Texte schrieb. McGuffin bezeichnete sich selbst als „Republikaner, Anarchist, intellektueller Hooligan und Schriftsteller“ – und eben als „fetter Bastard“. Er war bei jeder Runde dabei, die auf die IRA ausgegeben wurde, was ihm eine beträchtliche Leibesfülle einbrachte.

McGuffin war viermal verheiratet, das letzte Mal nur kurz. Vorige Woche heiratete er seine langjährige Freundin Christiane Kühn. Vorgestern ist er gestorben. Heute wäre er 60 Jahre alt geworden. RALF SOTSCHECK

Sean-McGuffin-Abend, heute 20 Uhr, Kaffee Burger, Torstraße 60, Berlin-Mitte; mit Jürgen Schneider (Übersetzer), Lutz Schulenburg (Edition Nautilus), Christian Berg (Kiel), Christiane Kühn (Derry), Bert Papenfuß (Berlin), Peter Wawerzinek (Berlin) u. a.; anschl. Tanz in den Mai mit Toth One Tet und JS.

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