: Steine in der Dämmerung
Nach den zunächst friedlichen revolutionären 1.-Mai-Demonstrationen kommt es am Abend in Kreuzberg wieder zu ersten Ausschreitungen. Polizei setzte den ganzen Tag über auf Deeskalation
Am frühen Abend des 1. Mai ist es erneut zu Ausschreitungen in Kreuzberg gekommen. Im Anschluss an die zweite von insgesamt drei „revolutionären Maidemonstrationen“ wurden nach Polizeiangaben gegen 19 Uhr von Randalierern unweit des Festes auf dem Mariannenplatz Steine geworfen. Auf dem Heinrichplatz fuhr die Polizei daraufhin mit Wasserwerfern auf. Zuvor war nach Augenzeugenberichten der Plus-Supermarkt am Oranienplatz erneut von etwa 20 jungen Personen geplündert worden. Auf dem Platz sammelten sich mehrere hundert Leute um „auf die große Party“ zu warten, wie einer meinte.
Die Polizei hatte bereits am Nachmittag die Auschreitungen in der Walpurgisnacht (siehe unten) als „Vorwarnung“ gewertet. Sie wollte jedoch so lange wie möglich am Konzept der Deeskalation festhalten. Tatsächlich hielt sich die Polizei weit abseits der Demonstrationszüge am Nachmittag. Statt der üblichen Helme trugen die Beamten Baretts auf den Köpfen.
Zur ersten der drei „revolutionären“ Maidemonstrationen um 13 Uhr am Oranienplatz hatten vor allem marxistisch-leninistische und maoistische Gruppen aufgerufen. Die etwa 1.000 Teilnehmer trafen um 16 Uhr am Görlitzer Bahnhof auf den zweiten Aufzug. Dessen Organisatoren hatten sich im Vorfeld gegen die Befriedungsversuche des Personenbündnisses „DenkMaiNeu“ ausgesprochen.
Dessen Initatoren diskutierten derweil am Rosa-Luxemburg-Platz über ihr „erfolgreiches Scheitern“. Der FU-Professor Wolf-Dieter Narr ließ keinen Zweifel daran, dass der 1. Mai nur dann wieder politisch begangen werden könne, wenn er „absolut gewaltfrei“ sei. Sein Kollege Peter Grottian, auf den „DenkMaiNeu“ zurückging, plädierte dafür, mit einer Ausweitung der Diskussionen nicht erst bis zum 1. Mai 2003 zu warten. „Wir müssen unmittelbar nach dem Bush-Besuch (am 22. Mai, d. Red.) einen politischen Ratschlag organisieren, auf dem wir über unsere nächsten Projekte diskutieren.“
Bei den anschließenden Auftaktkundgebung freute sich Jutta Ditfurth, dass das „Befriedungskonzept des konterrevolutionären rot-roten Senats gescheitert“ sei. Nach ihrem Aufruf „Friede den Hütten, Krieg den Palästen, für einen revolutionären 1. Mai“ startete hier gegen 19.30 Uhr der dritte Umzug mit knapp 10.000 Teilnehmern Richtung Kreuzberg. Die Polizei verzichtete auf ein Spalier, war aber in den Seitenstraßen massiv aufgefahren.
Am Rande dieser Demonstration nannte Lutz Diwell, Staatssekretär von Innensenator Ehrhart Körting (SPD), das Verhalten der Polizei insgesamt sehr positiv. Die Einsatzstrategie unterscheide sich deutlich von den Vorjahren. „Es gibt keinen Anlass, der Polizei eine wie immer geartetete Provokation zu unterstellen“, so Dibeck. Der amtierende Polizeipräsident Gerd Neubeck meinte in einer vorläufigen Bilanz, die Deeskalationsstragie sei weder gescheitert noch ein Erfolg. „Dazu gehören immer zwei. Aber die jungen Leute haben nicht mitgespielt.“ BD/PLU/WERA
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