: „Wogegen wir kämpfen“ – eine Antwort
Gegen die unipolare Welt unter US-Hegemonie kämpfen 90 deutsche Intellektuelle. Mit einem Aufruf antworten sie auf das amerikanische Manifest „Wofür wir kämpfen“ – und unterstützen damit die amerikanische Linke
BERLIN taz ■ Im März dieses Jahres antwortete eine Reihe linker amerikanischer Intellektueller auf den Aufruf „Wofür wir kämpfen – ein Brief aus Amerika“. In diesem Dokument hatten amerikanische Wissenschaftler, darunter auch führende Vertreter des konservativen wie des kommunitaristischen Lagers, die militärischen Aktionen der Bush-Regierung nach dem Massaker vom 11. September unterstützt und die Idee eines gerechten Krieges der USA gegen den Terrorismus verteidigt. Die Autoren des Gegenaufrufs vom März wandten sich auch an „europäische Freunde“. Diese Freunde wurden aufgefordert, sich durch den Vorwurf des Antiamerikanismus nicht einschüchtern zu lassen und an der Bush-Administration eine „rationale und offene Kritik“ zu üben. Dem wurde jetzt von 90 deutschen Wissenschaftlern, Künstlern und Publizisten entsprochen. Ihre Antwort dokumentierte gestern die Frankfurter Rundschau.
Der Aufruf „Wofür wie kämpfen“ hatte die universale Gültigkeit der Menschenrechte in den Mittelpunkt seiner Argumentation gestellt. Die deutschen Intellektuellen tun dasselbe, fordern aber die Bush-Unterstützer auf, mit der Universalität Ernst zu machen. Wie die amerikanischen Linken verweisen sie auf die Missachtung fundamentaler Menschenrechte in einer Reihe von Kriegen und Interventionen der USA nach 1945. Speziell auf den Afghanistan-Krieg bezogen legen sie dar, dass die 4.000 durch die „Anti-Terror-Allianz“ getöteten Zivilisten für sie ebenso schwer wiegen wie die Opfer des Terroranschlags von New York. „Es gibt keine universellen Werte, die es erlauben, einen Massenmord mit einem weiteren Massenmord zu rechtfertigen.“ Mit diesem grundsätzlichen Statement bleibt allerdings die Frage unbeantwortet, wie der Gewinn an Menschenrechten für die Bevölkerung Afghanistans nach dem Sturz der Taliban moralisch zu werten sei.
Der deutsche Aufruf geht nicht auf den von den USA verwandten Begriff des lang dauernden Krieges gegen den Terrorismus ein. Er erörtert auch nicht die völkerrechtlichen Probleme, die mit diesem bzw. den noch bevorstehenden Kriegen zusammenhängen. Daher stellt er auch nicht in den Mittelpunkt, dass durch die Politik der Bush-Administration die Vereinten Nationen geschwächt und die Bedeutung eines menschenrechtlich orientierten Völkerrechts gemindert wird.
Allerdings beschäftigt er sich mit der Gefahr der globalen Vorherrschaft der USA. In dieser Hinsicht stimmt er mit der Kritik überein, die halblaut bis in die Reihen des rot-grünen Regierungsbündnisses am amerikanischen Unilateralismus geübt wird. Der Aufruf wendet sich gegen „totalen Gehorsam“ gegenüber den USA. Wie die Politik der EU im Verhältnis zu den USA mehr Eigenständigkeit, mehr „Zivilität“ erreichen kann, bleibt allerdings im Dunkeln.
Die deutsche Unterstützeraktion bezieht in ihre Kritik fundamentalistischer Anschauungen auch die amerikanischen Auffassungen über den Kampf gegen die „Achse des Bösen“, überhaupt die moralisierende Gut/Böse-Dichotomie ein, die die Debatte in den USA beherrsche und die dort die Meinungsfreiheit zu ersticken drohe. Der Aufruf plädiert für eine Weltkultur, „die in sehr vielen Sprachen reden kann“. Der amerikanische Fundamentalismus hingegen sehe die Welt nur durch die Brille amerikanischer Interessen, die er menschenrechtlich verbräme. Ein multipolarer Zugang hingegen eröffne einen Blick aufs Ganze, der weltweit gerechtere und friedlichere Lösungen ermögliche – eine humane Vision der Globalisierung.
Der Aufruf bezweifelt, dass der von den USA proklamierte weltweite Kampf gegen den Terrorismus nur unternommen werde, um den Menschenrechten Geltung zu verschaffen. Dieser Verdacht ist bestimmt nicht unbegründet, wird allerdings an zweifelhaften Beispielen wie der Kontrolle über Ölquellen am Kaspischen Meer oder Militärstützpunkten in den zentralasiatischen Republiken erläutert.
Was fehlt, ist ein analytischer Blick auf Konfliktursachen in der Dritten Welt oder auf den Charakter der endemischen Bürgerkriege. Häufig liegen die Kriegsursachen oft noch in der von den beiden Supermächten beherrschten Welt, auf deren Zusammenbruch keine neue Weltordnung folgte, die diesen Namen verdient. Die Autoren des Aufrufs streben „moralisch begründete, weltweit akzeptable und allseits geachtete gemeinsame Spielregeln im Zusammenleben der Menschen“ an. Aber wie soll diesen Regeln zur Achtung verholfen werden? Sind im Notfall auch völkerrechtlich abgesicherte militärische Interventionen erlaubt, die die alleinige Interventionsmacht der USA ablösen könnten? Drängende Fragen, schwer beantwortbar.
Obwohl diese vielen Fragen offen bleiben, könnte der Aufruf, unterzeichnet von Intellektuellen des linken Spektrums von Elmar Altvater bis Dorothee Sölle, dennoch nützlich bei dem Versuch sein, den Gesprächsfaden mit den „amerikanischen Freunden“ wieder fester zu knüpfen. Denn gegenwärtig besteht tatsächlich die Gefahr, dass Schweigen und Stereotype das deutsch-amerikanische Verhältnis bestimmen. Auch auf Seiten der Linken. CHRISTIAN SEMLER
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