Bettelballet via Radio wird nicht verboten

Vorm Oberlandesgericht gescheitert: Die Deutsche Bahn AG wollte das für Sonntag geplante Radioballett im Hauptbahnhof unterbinden. Die Kunstaktion zielt auf die Synchronisation der Gesten von FSK-HörerInnen

Getauft wurde es „Radioballett“. Doch in der Ausführung dürfte die Aktion eher dem Synchronschwimmen gleichen: Für kommenden Sonntag ruft die Gruppe Ligna vom Freien Sender Kombinat (FSK) zum kollektiven Ausführen von Gesten in der Öffentlichkeit auf. Choreografiert werden die Körperhaltungen und Handbewegungen durch Anweisungen aus dem Radio. FSK kündigte an, zu diesem Behuf den gesamten Tag in Sachen Gesten auf Sendung zu sein. Geplanter Ort des Geschehens: Hamburger Hauptbahnhof. Gerade dort, so die Einladung, handele es sich bei dem Wechsel von der zur Begrüßung ausgestreckten zur aufgehaltenen Hand um einen Unterschied ums Ganze. Nahezu flächendeckend von privatem Sicherheitspersonal und Überwachungskameras beobachtet, wird hier in der Regel des Ortes verwiesen, wer durch „verbotene“ Gesten auffällt.

Das Ligna-Radioballett ist Teil der Veranstaltung Formierte Öffentlichkeit – Zerstreute Öffentlichkeit. Eingeladen von der Hamburger Kunsthalle, werden an diesem Wochenende Künstlergruppen aus Berlin und Hamburg mit Videoinstallationen, akustischen Medien und Diskussionsforen das Thema ausloten: Inwieweit kann Kunst als eine Praxis begriffen werden, die auch in sozialen und öffentlichen Räumen wirksam agiert.

Als Demonstration sieht dagegen die Deutsche Bahn AG das Radioballett an. Die zudem darauf abziele, „den normalen Reiseverkehr zu behindern“, so ein Schreiben, das dem Sender vor einer Woche zugestellt wurde. Als FSK auch die wenig später zugesendete „Unterlassungsverpflichtungserklärung“ nicht unterschrieb, reichte die Bahn gestern Beschwerde beim Hamburger Landesgericht ein. Das synchrone Hören des Senders durch verstreute Einzelne in ihren Hallen sollte von höherer Warte unterbunden werden.

Ohne Erfolg, denn wer an der Aktion teilnehme, genieße Meinungs- und Kunstfreiheit – Grundrechte, die auch von der Bahn AG gewährt werden müssten –, urteilte das Gericht. Denn die AG habe eine Aufgabe zur „allgemeinen Daseinsvorsorge“. Im Klartext: Der Hauptbahnhof gehört zwar der Bahn, ist aber dennoch kein privater Raum, wie es etwa ein Kaufhaus oder ein heimisches Wohnzimmer wäre. Das Oberlandesgericht bestätigte noch gestern die Entscheidung des Landesgerichts.

CHRISTIANE MÜLLER-LOBECK