: Ein träger Fluss zum Schnuppern
Mit dem Kanu unterwegs im Peenetal, das in seiner ganzen Länge unter Naturschutz steht: Wer hier auf Entdeckungsreise geht, sollte sich unbedingt einem kundigen Begleiter anschließen. Denn allein sieht man hauptsächlich das, was man schon kennt
von ANKE PIEPER
Wenn die Peene in die Ostsee mündet, hat der Fluss bereits eine Reise von mehr als hundert Kilometern durch den Nordosten Mecklenburg-Vorpommerns hinter sich. Die Peene ist eine Erinnerung daran, wie viele Flüsse hierzulande einmal aussahen: Kanalisierung, Uferbefestigung und Staustufen kennt sie nicht. Hier fühlen sich Wasservögel, Fische und Biber wohl – und mit ihnen die Wasserwanderer.
Schon nach zwei Flusswindungen hört man von der Kleinstadt Anklam nichts mehr, keinen Rasenmäher und kein Auto. Das Wasser gluckst, wenn die Paddel eintauchen, die Bugwelle des Kanus plätschert leise, eine Fliege summt vorbei. Die Peene ist ein träger Fluss, wie geschaffen für einen gemütlichen „Schnuppertag“ im Kanu. Für ihren Weg in die Ostsee lässt sie sich viel Zeit, ganze 20 Zentimeter Gefälle hat sie auf 100 Kilometern. Um ihr Flussbett herum ist seit der letzten Eiszeit eines der größten zusammenhängenden Moorgebiete Mitteleuropas entstanden.
Seit zwei Jahren organisiert die Biologin Geranda Olsthoorn Kanutouren auf der Peene. Ein Forschungsaufenthalt hat die Fischotter-Spezialistin aus den Niederlanden in dieses Tal geführt, das sie bald darauf zu ihrer Wahlheimat machte. Olsthoorn erläutert, dass das Peenetal in seiner ganzen Länge unter Schutz gestellt und über Jahrzehnte entwässertes Weideland wieder den Fluten übergeben wird. Die Zeichen stehen auf Renaturierung, schon weil die Entwässerung der Feuchtwiesen sich als unwirtschaftlich erwiesen hat und die Bundesregierung das Peenetal inzwischen als Schutzgebiet von nationalem Interesse ausgewiesen hat. Der Wasserstand ist sehr konstant. Daher brauchen die Biber, die an den Ufern eine Kette von mehr als hundert Burgen angelegt haben, hier keine Staudämme zu bauen, um die Eingänge ihrer Behausungen zu schützen.
Wie Wachsoldaten stehen einige Reiher unbeweglich und aufrecht am Schilfrand und fliegen davon, sobald das Kanu sich ihnen nähert. Olsthoorn lenkt das Boot in einen schmalen Seitenkanal, hier wurde früher Torf gestochen. Das Vogelkonzert wird lauter, die Biologin zeigt auf einen Zweig, an dem etwas hängt, das von weitem wie eine vergessene Handtasche aussieht: Das Nest der Beutelmeise.
Hunderte solcher Stichkanäle gibt es an der Peene zwischen Anklam und Kummerower See. Viele Vogelarten schätzen das große Nahrungsangebot und die Ungestörtheit. „Naturfreunde sollten sich äußerst rücksichtsvoll bewegen und vor allem die Augen offen halten“, appelliert die Biologin an die Vernunft der Wasserwanderer. „Wenn Panik unter den Tieren entsteht, Vögel davonfliegen oder Angstschreie ausstoßen, dann ist man zu weit vorgedrungen und sollte unverzüglich umkehren.“
Die Peene ist ein äußerst sensibles Ökosystem, das zudem für einige Jahre durch die neuerdings gefluteten Wiesen belastet wird, die Nährstoffe ins Wasser ausschwemmen. Im Sommer kommt es daher an einigen Abschnitten zu Sauerstoffmangel. Die Peenefischer und die Naturführerin haben dann Angst um den Fluss, der Muscheln, Krebsen, Schnecken und sogar einer Süßwasserschwamm-Art Lebensraum bietet – und von dem auch sie leben.
Bei der Weiterfahrt zwitschert ein Karmingimpel ein kurzes Ständchen, der vielleicht seltenste Vogel hier, ein Seeadler zieht zwei Ehrenrunden über der Peene, danach ein Rotmilan, und dann bieten Trauerseeschwalben eine kleine Flugvorführung. Im Uferschilf schleicht sich ein Kranichpärchen davon, laichende Fische tanzen im Wasser, und Frösche quaken mit Enten um die Wette.
Wenn die Arme nicht irgendwann müde würden, könnte man noch lange so weiterpaddeln. Doch dies verschiebt man besser auf den nächsten Tag: Eine knappe Woche dauert die geführte Tour vom Kummerower See bis zur Mündung bei Anklam. Übernachtet wird auf Zeltplätzen und in kleinen Pensionen. Dann reist die Peene alleine weiter, immer zwischen Boddenküste und Usedom entlang nordwestwärts, bis sie in Peenemünde in die Ostsee fließt.
Verglichen mit dem Müritz-Nationalpark trifft man hier überraschend wenige Besucher an. Die kleinen Städtchen und Dörfer richten sich nur langsam auf Natur-Urlauber ein, verleihen Boote, eröffnen Pensionen und Cafés, bieten geführte Wanderungen an. Wer hier auf Entdeckungsreise gehen möchte, der sollte sich unbedingt einem kundigen Begleiter anschließen, denn allein sieht man hauptsächlich das, was man schon kennt.
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