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Pokerface schützt

Familientag für Prävention im CCH: Jugendliche beraten Jugendliche in Sachen Mobbing. Der Amoklauf von Erfurt ist überall präsent

„Eigentlich muss den Tätern geholfen werden, die haben selber Probleme“

von SANDRA WILSDORF

Mobbing, das ist immer gemeinsam gegen einen. Einen, der neu ist, nicht die richtigen Klamotten trägt, anders aussieht, spricht oder denkt. Mobbing kann jedem passieren. Mobbing gibt es auch in der Schule. Marco, Niklas, Judith und Luisa aus der siebten Klasse der Gesamtschule Walddörfer haben sich ein halbes Jahr lang im Wahlpflichtfach „Zusammenleben“ mit dem Thema beschäftigt. Am Sonnabend gehörten sie zu den Experten, die beim „Familientag“ im Congress Centrum (CCH) Informationen zu allem gaben, was Kinder und Jugendliche, aber auch Eltern stark macht.

„Die Idee war ein Präventions-Tag für alle“, erklärt Dina Ley von der GesundheitsInfothek, die die Tagung organisiert hat. Unterhaltsam, praktisch, verständlich stellten Bühnenshows, Kurzfilme, Modenschau und verschiedenste Gruppen dar, wie Kinder und Jugendliche sich immun machen gegen Gewalt und wie sie ein unbeschwertes, selbständiges Leben führen können. Nebenbei informierten Gruppen und Vereine über ihre Aktivitäten.

Begonnen hatten die „Tage der seelischen Gesundheit“ am Freitag mit einer Fachtagung, gestern endeten sie mit Workshops zum Thema „Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom mit Hyperaktivität“. Doch obwohl das Thema Präventionnach dem Amoklauf von Erfurt brennender denn je ist, kamen nur wenige Besucher zum Familientag. Die großen und kleinen Experten blieben weitgehend unter sich.

Das Thema Erfurt war dennoch präsent. Kinder und Jugendliche malten und schrieben ihre Wünsche auf Zettel, die an die Gutenbergschule geschickt werden sollen. „Ein Ereignis wie dieses ist unmalbar“, hat jemand geschrieben und ein Kreuz daneben gemalt, verbunden mit der Hoffnung, „dass so etwas nie wieder passiert“.

Mobbing-Expertin Luisa von der Gesamtschule Walddörfer sagt: „Ich glaube, wir würden merken, wenn mit einem von uns etwas nicht stimmt.“ Man sehe doch, wenn jemand auf dem Schulhof immer alleine sei. Ihr Wissen verdanken die Schüler Helmut Pappers. Der war als Lehrer an einer deutschen Schule in Australien schwer gemobbt worden und nach seiner Rückkehr ein Jahr lang krank. Durch Zufall erfuhr er von dem Hamburger Verein „Klima“, der Konflikt-Lösungs-Initiative und Mobbing-Anlaufstelle. In dem Projekt arbeiten Betroffene und Fachleute gemeinsam an Lösungen individueller Mobbing-Probleme. Pappers hat diese Arbeit so stark gemacht, dass er inzwischen wieder als Sport- und Französischlehrer arbeitet und sein Wissen weitergibt, unter anderem in einer Hotline für gemobbte Lehrer.

Seine Klasse hat das Problem analysiert: Zunächst wird ein Opfer ausgesucht und schikaniert, das Opfer reagiert wie erwartet. Es kommt zu einem Teufelskreis. Die Jugendlichen haben ihn anhand einer wahren Geschichte gezeichnet: Ein Mädchen ist dick, weil es gerne Schokolade isst, wird deshalb gehänselt, isst noch mehr, wird noch dicker. Aber Marco kennt auch ein Beispiel aus dem Krankenhaus: „Wenn ein Arzt Oberarzt werden will, und jemand bringt in Umlauf, dass der sich dauernd verschneidet, dann tut er das irgendwann wirklich.“

Der Kreislauf: „Die Schikanen werden fortgeführt, weil das Opfer reagiert. Und das Opfer reagiert, weil die Schikanen fortgeführt werden.“ Judiths Tipp: „Pokerface. Bloß nicht so reagieren, wie die Täter wollen.“ Verbündete suchen. Und: „Eigentlich muss den Tätern geholfen werden“, sagt Niklas, „denn die haben meistens selber Probleme“.

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