: Frechheiten für Alphabeten in spe
Von elfenzart bis zynisch hart: ein Besuch bei den Kinderbuchillustratoren vom Atelier gute gründe in Berlin. Der Markt, sagen die Zeichner, will kuscheln. Vielleicht ist dennoch die Zeit des Harte-Brote-Kauens bald vorbei
Die Pinselborsten spreizen sich aufgeregt, wenn ein Ereignis wie neulich die Kinderbuchmesse in Bologna naht. Da spenden „Die drei ???“ Geborgenheit, zumindest der Hörspielfraktion im vorderen Teil des Ateliers namens gute gründe. Meistens beugen sich die Köpfe jedoch in emsiger Stille übers Papier. Von wegen in einem Atelier werde nur Milchkaffee geschlürft.
Berlin-Friedrichshain. Zwischen Bars und Gemüseauslagen fanden im Jahr 2000 neun IllustratorInnen und GrafikerInnen gute Gründe, sich zu mischen. Mittlerweile ist das Atelier eine Fundgrube bildender Kunst von elfenzart bis zynisch hart. Die Bewerbungsliste um einen Atelierplatz wird immer länger, sogar eine Praktikantin will das Künstlerleben inspizieren.
Vorne links am Fenster kümmert sich Sybille Heins Federschwung um Papas letztes Haar. Es hat sich gut auf seinem Kopf gehalten über das Jahr, in dem sie sich auf Kleinkunstbühnen stimmgewaltig mit ihrem Pianisten stritt und sarkastische Verse sang. Das Psycho-Pop-Kabarett Sybille & Die kleinen Wahnsinnigen tourt noch immer, doch Hein haucht ihren Schalk auch wieder aufs Aquarellpapier: puschelige Zootiere, Zeppeline und Schnörkelfeen grinsen „billisch“ in die Welt. Nach ersten Kinderbuchpublikationen bei Prestel und der Verlagsgruppe Oetinger illustriert Hein regelmäßig für Carlsen. Mal sehen, ob Papas letztes Haar, Gegenstand ihrer ersten eigenen Geschichte, wirklich bis zum Mond reicht.
Dahinter, mit Blick auf die Straße, gestaltet Marion Goedelt eine österreichische Fibel, die von einer CD-ROM flankiert im Herbst erscheinen soll. Alphabeten in spe macht sie die rätselhaften Schriftzeichen bildhaft. Ihre Figuren werden sogar durch elf Videogeschichten purzeln. Goedelt ist froh über die Kontinuität, die ihr der Auftrag bringt, doch sind ihrer Fantasie von Verlagsseite her enge Grenzen gesetzt. „So richtig böse Sachen kann man natürlich nicht machen“, bedauert sie. „In einem Kinderbuch soll alles nett sein.“
Oder würden Sie Ihren Knirpsen ein Buch von Patrick Wichtler kaufen? Wichtler ist des Ateliers böser Bube. Sein Leporello „Schlaf, Kindchen, schlaf“ hat er zwar schon in mehrfacher Auflage gefaltet, aber für zarte Kinderseelen ist die makabre Collage nicht gedacht. „Das Schlaflied ist ein düsteres Lied“, findet er. Also siecht das Kind in einem Krankenbett mit Kelleratmosphäre dahin, der Vater hütet mit Schlächterbeil die Schaf’, die geköpft, gehäutet und aufgeschlitzt an der Stange baumeln, die Mutter schüttelt Fließbandbäumelein, und das Träumelein fällt als grüne Giftinjektion aus dem Tropf.
Und was ist in den Schubladen da? Stempel, hunderte! Die hat Anna Zimmermann geschnitzt. Gestempelt oder federgezeichnet, die F.-W.-Bernstein-Schülerin sah ihre ersten Karikaturen in Anthologien von Carola Rönneburg und Vincent Klink/Wiglaf Droste gedruckt. Bis ihre Frechheiten auch den Kinderbuchmarkt kapern, illustriert sie für einen Sprachtherapeuten Spielkärtchen und CD-ROMs.
Michael Wrede hat sein eigenes Reich im Atelier. Er braucht die Ruhe, um Tigerzähne abbrechen zu hören und Kindertragiken knuffelig in Acryl zu tauchen. „Sein Zimmer ist abschließbar, und nur wir haben den Schlüssel“, foppen ihn die anderen. 17 Jahre lang hat Wrede als Architekt das Lineal gezückt, nun malt er mit Feuereifer krumme Häuser. Und stempelt. Nix Böses. Tapetenmuster und Nilpferdunterhosen. Es werde das klassische Bilderbuch. Und es ward Plüsch. Der Markt will kuscheln, es funktioniert. Hartes Brot kaut Wrede trotzdem. Keinen der gute gründler trägt die Illustration bislang finanziell. Da kann man noch so renommiert studiert haben. Wrede, Hein und Goedelt lernten sich einst bei Rüdiger Stoye an der Hamburger Fachhochschule für Gestaltung kennen, pinselten schon damals im gemeinsamen Atelier.
Ein Schlusswort zur allgemeinen Stimmung? „Also wirklich, das passiert öfter, dass Michael an Patricks Tisch steht, und dann tuscheln die!“ Behauptet Sybille.
ESTHER KOCHTE
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