: Für die Rechte steht der Täter fest
Fortuyn-Partei wirft der Linken eine „beispiellose Hasskampagne“ vor. Die Wahl soll aber nicht verschoben werden, denn „Pim liebte die Demokratie“
aus Den Haag HENK RAIJER
Pim Fortuyn gab sich stets lakonisch, wenn er von den Drohungen sprach, die er in jüngster Zeit immer öfter erhielte. „Das wäre doch ein schöner Tod, damit machte man Geschichte“, meinte der Spitzenkandidat der „Lijst Pim Fortuyn“ (LPF), der 54 Jahre alt wurde, noch kurz vor seiner Ermordung zu einem Parteifreund. Am Montagabend auf dem Fernsehgelände in Hilversum ist der Fall eingetreten, von dem Hollands umstrittenster Politiker offenbar ahnte, dass er möglich sei, während die niederländische Gesellschaft davon vollkommen überrascht wurde.
In einer ersten Reaktion auf die Ermordung des Rechtspopulisten, der von fünf Schüssen in Hals, Kopf und Rücken getroffen wurde und noch am Tatort starb, zeigte sich Ministerpräsident Wim Kok schockiert. „Ich bin tief erschüttert über das, was hier geschehen ist. Das haben wir in unserem Land nie für möglich gehalten. Nicht in Holland. Pim Fortuyn lebt nicht mehr. Das ist tragisch für alle, die ihm nah standen, aber auch tragisch für unser Land, für unseren demokratischen Rechtsstaat.“
Thom de Graaf, Fraktionschef der linksliberalen Regierungspartei D 66, meinte, die Niederlande seien seit diesem Tag nicht mehr das Land, das er kenne und schätze. „Aber die Demokratie darf sich nicht erpressen lassen, die Wahlen müssen am 15. Mai stattfinden.“
Nachdem alle Parteien am Montagabend den sofortigen Stopp ihrer Wahlkampagnen verfügt und Wim Kok mit seinen Ministerkollegen in einer Sondersitzung des Kabinetts die Möglichkeiten einer Verschiebung des Wahltermins sondiert hatte, traf sich der Ministerpräsident am Dienstag mit dem Sprecher der LPF in Den Haag. Fortuyns Vertrauensmann Mat Herben erklärte in der anschließenden Pressekonferenz: „Pim liebte die Demokratie und er liebte Wahlen. In seinem Sinne handelnd, wollen wir, dass die Wahlen stattfinden.“ Von einem „Sieg der Demokratie“ sprach auch Wim Kok, als er schließlich mitteilte, dass die Wahlen wie geplant am 15. Mai stattfinden sollen.
Mat Herben hatte in einer ersten emotionalen Stellungnahme nach dem Attentat indirekt Hollands Linke für den Mord verantwortlich gemacht. Das Attentat sei „unmittelbare Folge einer beispiellosen Hasskampagne“, die das linke Holland gegen seine Partei geführt habe. Vor allem Grüne und Sozialdemokraten hätten im Vorfeld der Wahlen ein Klima geschaffen, das „Verrückte“ wie den Attentäter fast zwangsläufig auf eine solche Idee habe bringen müssen.
Mit dieser Einschätzung stand der Politiker der Fortuyn-Partei, der für die kommenden Wahlen nach letzten Umfragen auf Anhieb bis zu 17 Prozent der Stimmen zugetraut werden, offenbar nicht alleine da. Am Montagabend zogen Hunderte jugendlicher Anhänger Fortuyns durch das Regierungsviertel in Den Haag und skandierten Losungen wie „Melkert: Mörder“, womit sie unverblümt den Spitzenkandidaten der Sozialdemokraten für den Mordanschlag auf ihren Favoriten verantwortlich machten. Als es dunkel geworden war, verschafften sich Demonstranten Zutritt zur Tiefgarage des Parlaments und setzten etliche Fahrzeuge in Brand, darunter das Auto Ad Melkerts.
Obwohl gestern noch unklar war, ob es sich um einen politischen Anschlag handelt, hatten auch prominente linke Politiker wie etwa der sozialdemokratische Umweltminister Jan Pronk schnell eine Erklärung zur Hand: „Ein politischer Mord“ sei dies gewesen. Über die Ziele des mutmaßlichen Attentäters konnte die Ermittlungsbehörde gestern allerdings noch keine Erkenntnisse vorlegen.
Bei dem Mann, der unweit des Tatorts auf dem Gelände einer Tankstelle von der Polizei überwältigt worden war, handelt es sich nach Auskunft des Obersten Anklägers der Niederlande, Hofstee, um einen 32-jährigen „Umweltaktivisten“. Der Einwohner der Stadt Harderwijk sei nicht vorbestraft und wolle bislang keine Erklärungen abgeben.
Im Rathaus Rotterdams, der Stadt, in der Pim Fortuyn bei den Kommunalwahlen am 6. März einen Erdrutschsieg (34,7 Prozent) erzielt und dadurch die traditionellen Parteien das Fürchten gelehrt hatte, trugen sich bis gestern Nachmittag rund 5.000 Menschen ins Kondolenzbuch ein.
Neben Menschen, die ihrer Trauer über den Tod „ihres“ Kandidaten freien Lauf ließen und um Fassung rangen, hatten sich auch Gegner Fortuyns eingefunden. „Ich hatte das Gefühl, dass ich zeigen muss, was ich von Politikermord halte“, sagte ein Passant. „Als ich gestern die Fernsehbilder vom Tatort sah, war mein erster Gedanke: ‚Mein Gott, dort liegt die Demokratie niedergestreckt.‘ “
Nicht nur Rotterdam, die Heimatstadt Pim Fortuyns, sondern das ganze Land schien auch gestern noch wie gelähmt zu sein. Wahlen jetzt oder später – dies dürfte den Holländern egal sein. Ob die LPF, in der entscheidenden Phase ihrer charismatischen Führerfigur beraubt, von dem Mord profitiert, ist ungewiss. So ungewiss wie das Wahlverhalten unter dem Eindruck des ersten Politikermordes in Holland überhaupt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen