: Warnspiegel im Wald
Als „Denkzeichen“ erinnern 104 Verkehrsspiegel hinter der Waldbühne an die Erschießung von über 230 deutschen „Wehrkraftzersetzern“. Der Weg zum authentischen Ort bleibt allerdings versperrt
von JAN ROSENKRANZ
„Der Soldat kann sterben, der Deserteur muss sterben“, hatte Hitler verfügt. 30.000 Todesurteile verhängte die NS-Militärjustiz; 20.000 wurden vollstreckt, mehr als 230 davon auf dem ehemaligen Wehrmachtsgelände in Berlin-Ruhleben. Als Deserteure, Verweigerer oder „Wehrkraftzersetzer“ wurden die standrechtlich Verurteilten in der Murellenschlucht erschossen. Seit Mittwoch erinnert daran ein ungewöhnliches Denkmal der argentinischen Künstlerin Patricia Pisani.
Als „Denkzeichen“ hat Pisani 104 Vehrkehrspiegel im Wald aufstellen lassen, die Passanten von der Glockenturmstraße bis in die Nähe der einstigen Hinrichtungsstätte leiten sollen. Wie Straßenschilder warnen sie vor Gefahren außerhalb des Gesichtsfeldes und sollen damit visuell auf das verdrängte Unrecht der NS-Justiz verweisen.
„Uns selbst, unsere Gegenwart sehend, mahnen sie zum Nachdenken und erinnern an Menschen, die ihre Weigerung, noch länger einem Unrechtsstaat zu dienen, mit dem Tode bezahlten“, interpretierte Bausenator Peter Strieder (SPD) die Symbolik anlässlich der Übergabe der Gedenkstätte.
16 der rotweiß geränderten Spiegel tragen Informationstexte. Deren dramaturgische Anordnung folgt dem Wandel der öffentlichen Meinung: Von Zitaten aus Urteilen des Bundessozialgerichts, das sich Anfang der 90er-Jahre erstmals der Deserteursproblematik annahm, bis hin zu kurzen Sätzen aus Augenzeugenberichten. „Es beginnt nüchtern und wird, je mehr man sich der Hinrichtungsstelle nähert, immer emotionaler“, sagt Pisani. So sollen sich Besucher auf ihrem Weg langsam dem Thema annähern können. Allerdings wird ihnen dabei einiges Vorwissen unterstellt, die kurzen Statements allein wirken etwas kryptisch.
Am Rande der Eröffnung wurde auch aus anderer Richtung Kritik geäußert. Ludwig Baumann, Vorsitzender der Bundesvereinigung für Opfer der NS-Militärjustiz, sprach von einer „großen Tragik“ für die ehemaligen Desertierten, dass es keine Gedenkstätte am authentischen Ort gebe (siehe Interview). Der liegt innerhalb des angrenzenden Polizeiareals. Doch trotz jahrelanger Versuche des Bezirks und der evangelischen Synode Charlottenburg ist die Polizei nicht bereit, Teile des 130 Hektar großen Geländes abzutreten.
So musste dann Pfarrer Manfred Engelbrecht, Mitinitiator des kirchlichen Arbeitskreises zur Errichtung des Deserteurs-Denkmals, am Mittwoch seine kurze Andacht direkt neben dem stacheldrahtbewehrten Polizeizaun halten – der wird nun wohl ungewollt zum Bestandteil des „Denkzeichens“.
Auch wenn Engelbrecht grundsätzlich erleichtert ist, dass endlich ein Ort des Gedenkens geschaffen wurde, bleibt doch ein weiterer Wermutstropfen. Urspünglich hatten sich die Bezirksverordnetenversammlung Charlottenburg und die evangelische Synode auf einen Entwurf des Berliner Künstlers Wolfgang Göschel geeinigt.
Der wollte drei sechs Meter hohe Stahlträger – stilisierte Hinrichtungspfähle – errichten, an denen je ein Porträt eines Erschossenen und dessen Biografie befestigt werden sollte. „Ich hätte die Gedenkstätte nicht im Wald versteckt, sondern, als Kontrast zu den monumetalen Eingangsreliefs der Nazizeit, direkt neben den Eingang der Waldbühne gestellt“, sagt Göschel.
Weil der Bezirk den Bau aber nicht selbst zahlen konnte, musste Strieder einspringen. Der verlangte jedoch einen künstlerischen Wettbewerb, bei dem Göschels Entwurf vor einem Jahr durchfiel. Protesthalber blieb er der Einweihung nun fern.
Auch Ludwig Baumann hätte sich ein öffentlicheres Denkmal gewünscht und einen stärkeren Verweis auf die Verfolgung, unter der Deserteure auch noch in der Nachkriegszeit gelitten haben. Heute leben noch etwa 150 Wehrmachtsdeserteure. Vor diesem Hintergrund empfahl der Historiker Peter Steinbach in seiner Rede, „dringend“ politische Entscheidungen zu fällen, „die zu einer grundsätzlichen Rechtfertigung der Desertion im Dritten Reich führen“ und Einzelfallprüfungen überflüssig machten. Kommende Woche entscheidet der Bundestag über einen entsprechenden Gesetzentwurf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen