: „Es gibt kein Gesamtkonzept“
CDU-Energieexperte Kurt-Dieter Grill kritisiert die rot-grüne Energiepolitik und will sich die Option neuer Atomkraftwerke offen lassen
Interview NICK REIMER
taz: Herr Grill, die rot-grüne Regierung reklamiert für sich, die Energiewende eingeleitet zu haben. Wie beurteilen Sie diese?
Kurt-Dieter Grill: Ich kann keine Energiewende erkennen. Nach vier Jahren gibt es nicht ein einziges Dokument über ein energiepolitisches Konzept bis 2020. Es existieren allenfalls Fragmente. Das zeigt, dass rot-grüne Energiepolitik lediglich aus isolierten Teilmaßnahmen besteht.
Es gibt den Atomkonsens.
Ein gutes Beispiel für meine These: Der Bundeswirtschaftsminister Werner Müller hat in seinem Energiebericht darauf hingewiesen, dass ein klimaneutraler Atomausstieg Deutschland 250 Milliarden Euro kostet. Rot-Grün ist aber die Antwort schuldig geblieben, woher dieses Geld kommen soll. Es gibt nur Stückwerk, kein Gesamtkonzept.
Woran liegt das?
An der Konstellation Kanzler gegen Regierungsfraktionen und umgekehrt. Die Fraktionen wollen zwar die Klima- und Energiepolitik durchsetzen, die Grüne und SPD im Wahlkampf einst versprochen haben. Aber da ist der Kanzler und sein Wirtschaftsminister davor. Wunderbar belegbar ist das mit dem Energiedialog unter Führung des Wirtschaftsministeriums, der im Juni 2000 gescheitert ist. Ursprünglich sollte der zu einem Konsens in der Gesellschaft führen. Am Anfang des Schlussdokumentes steht der schöne Satz: „Dieser Dialog beantwortet nicht die Klimaprobleme, die durch den Atomausstieg auftreten.“ Und das konnten weder die Umweltverbände noch die Union mittragen. Oder nehmen Sie die atomare Entsorgungsfrage. Rot-Grün nutzt heute alles, was sie bis 1998 bekämpft haben. Das deutet nicht gerade auf gesamtkonzptionelle Weitsicht hin.
Was würde die Union denn anders machen?
Zuerst würden wir die Energieforschung stärker in den Mittelpunkt rücken. Weil die Kohle als Energieträger global weiterhin eine große Rolle spielen wird, brauchen wir das so genannte Clean-Coal-Kaftwerk – mit einer Effizienz jenseits von 50 Prozent. Zweitens werden wir die Ausrichtung der Solarforschung ändern: Uns geht es eben nicht um Solarthermik in unseren Breiten, sondern um Solargroßkraftwerke etwa in der Sahara. Drittens müssen dezentrale Technologien – Stichwort Brennstoffzelle – stärker erforscht werden. Und viertens muss die Kernfusionsforschung vorangetrieben werden.
Andere Forschungsschwerpunkte machen noch keine andere Klima- und Energiepolitik.
Wir werden die Prioritäten ändern. Wer eine integrative Energie- und Klimapolitik machen will, muss im Verkehrs- und im Gebäudebereich ansetzen. Die Energieeinsparverordnung wird von uns steuerliche Vergünstigungen bekommen. Im Verkehr müssen wir das Kohlendioxid-Wachstum von derzeit elf Prozent mindestens auf ein Nullwachstum bekommen. Im Regierungsprogramm haben wir deshalb ein verkehrspolitisches Kapitel unter dem Stichwort „CO2-freie Fahrzeuge bis 2020“ eingestellt. Wir wollen erreichen, dass bis dahin 20–25 Prozent der Fahrzeuge kohlendioxidfrei sind. Wir müssen weg kommen von den Subventionen der erneuerbaren Energien, sie also marktwirtschaftlich konkurrenzfähig machen. Dazu kommt die Option Kernenergie: Die werden wir wieder offen gestalten.
Die AKW-Betreiber haben ihrem Kanzlerkandidaten Stoiber gesagt: Sie akzeptieren den rot-grünen Ausstieg auch perspektivisch.
Wer denn?
Zum Beispiel Herr Goll, der Vorstand der EnergieBaden-Württemberg.
Herr Goll hat genau das nicht gesagt. Es hat nie ein Gespräch zwischen Stoiber und dem EnBW-Vorstand gegeben. Im Gegenteil: Die Deutsche Stromwirtschaft hat immer gesagt, dass der Ausstiegsvertrag für alles gilt, nur nicht für die Frage, ob die Gesellschaft Kernenergie für richtig oder falsch hält. Wenn die deutschen Stromkonzerne ab 2010 neue Kraftwerkskapazitäten bauen müssen, können das durchaus auch Kernkraftwerke sein. Ich sage nicht, dass wir sofort neue AKWs brauchen. Ich sage: Wir müssen uns die Option offen halten.
Halten Sie das rot-grüne Ziel, bis 2050 die Hälfte des in Deutschland erzeugten Stromes aus regenerativen Quellen zu gewinnen, für realistisch?
Nein, weil das eine unbezahlbare Subventionspolitik ist. Wird diese fortgeführt, werden wir am Ende des Jahrzehnts jährlich zehn Milliarden Euro Subventionen zahlen müssen.
Die gibt es auch für Kohle.
Mit dem kleinen Unterschied, dass die Kohlesubvention nicht vom Verbraucher direkt gezahlt wird und rückläufig ist. Bei den regenerativen Energien steigt sie dagegen ins Unermessliche – und irgendwann wird es dafür in der Gesellschaft keinen Konsens mehr geben.
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