schröder und walser
: Ganz normal kokett

Hat Walser es gesagt – oder nicht? Hat er, vis-à-vis dem Kanzler, Versailles für den Holocaust haftbar gemacht und behauptet, dass die Franzosen in Auschwitz mitgebaut haben? Nein, hat er nicht. Denn Walser definiert nicht, er empfindet, legt nahe, lässt anklingen.

Kommentarvon STEFAN REINECKE

Und diese Subtexte sind in der Tat unangenehm: Da wird deutsche Geschichte zu einer Kette von Schicksalsschlägen, da ist Auschwitz unsere „Schande“, aber nicht unsere Schuld. Da ist sehr viel von Versailles die Rede, ohne das es Hitler doch nie gegeben hätte. Und keine Rede von konkreten Tätern.

Es ist das alte Walser’sche Raunen, das Spiel mit der übermächtigen, imaginären politischen Gesinnungspolizei, in dem sich der arme Literat stets als verfolgte Unschuld inszeniert.

Der Skandal fand nicht statt. Der Kanzler hatte es leicht: Walser redete von „Schicksalsgenossenschaft“ und „Geschichtsgefühl“, Schröder über Fußball. Martin Walser ist, wie man schon vorher wusste, kein politischer Denker. Gerhard Schröder interessiert sich, wie man schon vorher wusste, nicht so richtig für Geschichtsgedöns.

Alles nicht so schlimm? War die Aufregung, dass die SPD mit diesem Event – Schröder redet mit Walser ausgerechnet am 8. Mai über Patriotismus – rechts punkten will, überflüssig? War die Befürchtung, dass die SPD dafür sogar bereit ist, sich mit einem rechten Geschichtsbild gemein zu machen, ganz falsch?

Die Wahrheit liegt irgendwo daneben. Nicht Skandal, Koketterie ist das Wort für dieses Treffen. Martin Walser redet über die Nation – und vor allem über sich selbst. Er kokettiert nebenbei mit Entlastungsmotiven – das hat mit Antisemitismus nichts, mit eitler Gespreiztheit viel zu tun. Und die SPD kokettiert mit der Idee, mit Walser rechts ein bisschen Wahlkampf zu machen – um sogleich alles wieder richtig zu rücken. Es ist ein Spiel mit bösen Erwartungen, die Schröder mit einer historisch korrekten Rede zu enttäuschen verstand.

Die NS-Vergangenheit verblasst. Sie ist nicht mehr so wichtig. Das hat viele Gründe: 1989, den Generationswechsel, die rot-grüne Regierung, die unverdächtig ist, in anrüchigen historischen Kontinuitäten zu stehen. Damit könnte auch das altbundesrepublikanische, strenge pädagogische Ethos der Vergangenheitsverarbeitung langsam verdampfen. Das Schröder-Walser-Treffen war kein Skandal, wie gesagt. Aber es kündigt einen unguten, koketten Ton an. Das ist neu im offiziösen Umgang mit Symbolen der Nazi-Katastrophe.