: Eye-Opener aus Bremen
■ Die Wut der zweiten Generation: Die US-Amerikanerin Jerry Zbiral hat einen Film über das Massaker in Lidice und ihren Weg zum Frieden gedreht
Jahrzehnte hat sie gekocht vor Wut. Hatte eine fast schon unmenschliche Wut auf alles Deutsche, auf die Täter und deren Erben, die 1942 in Lidice ihre Familie ausgelöscht haben. 48 Verwandte. Schicksale, die Jerry Zbirals Mutter ihr immer wieder erzählte, ins Gedächnis brannte und damit ihre Wut geschürt hat („I absorbed her pain“). Die ersten Deutschen, die sie dann vor zehn Jahren traf, wollte Jerry Zbirals am liebsten in Grund und Boden schreien – konnte aber nicht.
Die drei waren zufällig Bremer. Und womit Jerry Zbriral damals nicht gerechnet hatte: „Dass die drei dieselben Fragen stellten, wie ich: Warum?“ Jerry Zbirals Wut war verpufft. Nicht sofort. Noch immer beäugt sie 80-jährige Deutsche, mögliche Täter, mit Skepsis. Aber morgen und in der kommenden Woche traut sie sich vor Schulklassen, um über ihre Geschichte und ihren Dokumentarfilm zu sprechen: Über die in zweiter Generation Betroffenen, die nicht loskommen vom Schicksal der Eltern.
Und die ihren Hass auch noch weitergeben – an die nächste Generation. Einmal ertappte Jerry ihren Sohn dabei, wie er Hamburg am Computer in Schutt und Asche legte. „Mami, das ist doch nur Hamburg“, sagte der Kleine nur. Aussöhnung scheint ausgeschlossen.
Wenn die Bremer damals nicht gewesen wären, die „Eye-Opener“, wie Jerry Zbiral jene nennt, die ihre Wut umdrehten – vor zehn Jahren in Lidice. 50 Jahre nach dem Mas-saker an 339 Tschechen. Als sie noch einen ganz anderen Film drehen wollte. So unpersönlich wie möglich, wollte Jerry Zbiral damals drehen: „A straight documentary“. Konnte aber nicht. Ihr eigenes Leben wurde zum roten Faden zwischen den Geschichten. Heraus kam ein Film über ihre Wut und deren langsame Überwindung – „a lifetime struggle“. Ein Film über die Chancen des Dialogs.
Sonst, sagte sie heute, wären auch wieder nur Zahlen dabei rausgekommen. Nichtssagende Zahlen, die die kids in den USA im besten Fall schon kennen – „but they had no idea of suffering“. Genau das aber wollte Jerry Zbiral zeigen: Die Einzelschicksale, das Leiden, das die Wut schürt.
Zum Beispiel die Geschichte von der Frau, deren Tochter nach Lidice nicht wieder auftauchte. Vermutlich wurde sie ermordert wie die anderen 88 Kinder auch, nur ihren Körper hat man nie gefunden. „Die Frau hat nie aufgegeben zu hoffen, die Tochter könnte zurückkommen“, erzählt Jerry Zbiral. Sie hat dem Kind ein Zimmer reserviert, jahrezehntelang, sogar noch als das Kind schon längst die 60 überschritten hätte, eine „grandmother“ hätte sein können.
Jerry Zbirals Film „In the Shadow of Memory“ wird in US-Schulen inzwischen regelmäßig gezeigt. Morgen ist in Deutschland Premiere – in Bremen, schließlich waren es die Leute vom Bremer Lidice Haus, die ihr Leben damals um-krempelten.
Einen besseren Zeipunkt für die Premiere hätte es nicht geben können: „Es gibt so viel Hass in der Welt“, sagt sie. So viel Not an Dialogen. Auf die Dialoge mit BremerSchulkindern ist sie jetzt schon gespannt. Die sind im Alter ihrer Kinder, aber wie viel werden sie wissen, von Lidice, vom Leiden und der Wut?
Dorothee Krumpipe
Am Sonntag findet um 12 Uhr im Kino 46 eine Film-Matinée statt. Anschließend ist Zeit für Gespräche mit Jerry Zbiral. Montag, Dienstag und Mittwoch gibt es jeweils um 10 Uhr Filmvorführungen für Bremer Schulen.
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