: „Neppcenter“ liegt schief
■ Angestellte des Call-Centers warten seit Monaten auf ihren Lohn. Der Chef kündigt potenten Auftraggeber an
Monatelang kam er zu spät, seit März kam der Lohn gar nicht mehr – jetzt mucken die Mitarbeiter der Netcenter AG auf. Heute soll vor dem Firmensitz des Call-Centers in der Vahr demonstriert werden. „Die Behandlung der Leute dort ist schlicht unmenschlich“, klagt Kornelia Knieper von der Dienstleistungsgesellschaft Verdi. Und: „Das ist keine Netcenter, sondern eine Neppcenter AG.“
Immer noch warten viele Mitarbeiter auf mehrere Gehaltszahlungen – sie verdienen rund 1.500 Euro brutto im Monat. Alleinerziehende, bei Netcenter arbeitende Mütter hätten „fast gehungert“, empört sich Knieper, ein Mitarbeiter aus Bremerhaven kam nicht mehr zur Arbeit, weil er die Reparatur für sein Auto nicht zahlen konnte.
Anlass für die Schieflage des Call-Centers ist die Pleite des Medienriesen Leo Kirch: So brach der AG, die im vergangenen Jahr drei Millionen Euro umsetzte, im Februar ein Auftrag des Bezahlfernsehens Premiere World weg. Doch das Unternehmen muss schon länger in Schwierigkeiten stecken. Angeblich soll sich die Netcenter AG im vergangenen Jahr bei der Übernahme der Bremer Konkurrenzfirma Proficall übernommen haben: Vom Kaufpreis soll eine sechsstellige Summe noch nicht überwiesen worden sein. Von den einst 120 Angestellten der Netcenter AG ist inzwischen nur noch die Hälfte übrig. Vielen wurde gekündigt. Damit nicht genug: einige warten noch auf Arbeitspapiere. „Sie sind nicht nur arbeitslos, sie haben auch noch Probleme beim Arbeitsamt“, beschwert sich Verdi-Frau Knieper.
Ein Teil der Netcenter-Leute zog inzwischen selbst die Notbremse – und kündigte selbst. Wie Petra Frers: „Schon im November kam der Lohn fünf Tage zu spät“, erinnert sich die ehemalige Netcenter-Mitarbeiterin. Zuletzt kam er gar nicht mehr. Frers: „Viel wurde versprochen, noch mehr gelogen.“ Ernsthafte Geldprobleme hatte die Telefonistin jedoch nicht: „Zum Glück arbeitet mein Mann.“ Dennoch will Frers in der kommenden Woche vor Gericht wenigstens die vermögenswirksamen Leistungen einklagen, die zwar in den vergangenen Monaten von ihrem Lohn abgezogen, aber nicht bei ihrer Bausparkasse eingegangen sind. „Dann hole ich mir das Geld eben per Gerichtsvollzieher“, sagt Frers, die inzwischen eine neue Anstellung gefunden hat.
„Wenn das mit den vermögenswirksamen Leistungen wirklich passiert ist, war das Schlamperei“, entschuldigte sich gestern Geschäftsführer Marc Dörre, der die Firma 1995 mitgegründet hatte. Gleichzeitig gab er zu, dass noch Zahlungen an Angestellte ausstehen. „Auf einmal sind die Probleme so hochgeploppt.“ Jetzt würden die Gehälter jedoch umgehend gezahlt. Es gebe einen neuen, potenten Auftraggeber, dessen Namen aber noch geheim sei. Dörre: „In den nächsten 100 Tagen werden wir 100 neue Arbeitsplätze schaffen.“
Die Gewerkschafterin Knieper lassen die Ankündigungen kalt. „Noch ist das Geld nicht da. Wir stehen so lange vor der Tür, bis sich die Geschäftsführung rührt.“
Kai Schöneberg
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