Wie viel Minderheit darf sein?

Die Grünen wollen, die SPD will nicht: Das Antidiskriminierungsgesetz stockt. Wahrscheinlich hat das Kanzleramt interveniert. Die Sozialdemokraten fürchten die Opposition und den Wahlkampf. Die Kirchen suchen Kompromiss

FREIBURG taz ■ Langsam blickt keiner mehr durch. Wird es noch ein Antidiskriminierungsgesetz (ADG) vor der Bundestagswahl im September geben oder nicht? Die Grünen jedenfalls haben die Hoffnung immer noch nicht aufgegeben – trotz des Widerstandes in der SPD, der inzwischen offenkundig wurde. „Wir halten an der Vereinbarung von voriger Woche fest“, betont Fraktionssprecherin Kerstin Müller gestern, „das ADG soll noch im Juni in den Bundestag eingebracht werden.“ In Gesprächen mit der SPD will sie bis dahin die „Probleme ausräumen“.

Das ADG will sicherstellen, dass Ausländer, Behinderte und Homosexuelle bei privaten Rechtsgeschäften nicht benachteiligt werden. Einen entsprechenden Gesetzentwurf hatte Justizministerin Herta Däubler-Gmelin im letzten Herbst vorgestellt. Doch als es zu viel Widerstand von Hausbesitzern, Versicherungen sowie den Kirchen gab, machte die SPD einen Rückzieher und wollte das Projekt in die nächste Wahlperiode verschieben.

Die Grünen, Behindertenverbände und der Zentralrat der Juden wollten dies jedoch nicht akzeptieren und hatten zunächst Erfolg. Am Dienstag voriger Woche einigten sich die rot-grünen Koalitionsspitzen, Rechtspolitiker und Herta Däubler-Gmelin auf einen neuen Anlauf. Doch schon am Freitag war wieder alles vorbei. SPD-Fraktions-Chef Peter Struck und der rechtspolitische Sprecher der SPD, Alfred Hartenbach, bliesen das Vorhaben ab. Der Widerstand sei doch zu groß, hieß es.

Was war zwischenzeitlich passiert? Wie vereinbart hatte ein Gespräch der rot-grünen Politiker mit evangelischer und katholischer Kirche sowie dem Zentralrat der Juden stattgefunden. Gesucht wurde ein Kompromiss, der den Tendenzschutz für kirchliche Einrichtungen sichert, aber dennoch religiöse Minderheiten wie Juden und Muslime im Alltag nicht benachteiligt. Weitergekommen war man zwar nicht, aber von einem vorläufigen Scheitern des Vorhabens war nicht die Rede. Die Vertreter der beiden Großkirchen wollten vielmehr in ihren Gremien noch einmal die Kompromissmöglichkeiten ausloten.

Ausschlaggebend dürfte daher eher eine Intervention aus dem Kanzleramt gewesen sein, von der in Koalitionskreisen zu hören ist. Das klingt jedenfalls plausibel, denn Kanzler Schröder verfolgt die ADG-Diskussion schon seit langem mit Misstrauen und will der Opposition keinen Angriffspunkt im Wahlkampf bieten. Offiziell bestätigt wird eine solche Intervention allerdings nicht. CHRISTIAN RATH