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„Härteste Sprachgrenze Europas“

Nur allmählich lassen sich die Strukturprobleme an der deutsch-polnischen Grenze beheben. Nun gilt es, die Widrigkeiten als Chancen zu begreifen

„Sie haben hier einen Asia-Imbiss, finden aber keine polnische Würstchenbude“

Interview UWE RADA

taz: Herr Matthiesen, in Ihrer im Januar erschienen Studie über die Grenzgebiete und die bevorstehende EU-Osterweiterung sprechen Sie von teilweise dramatischen Problemlagen. Welche sind dies?

Ulf Matthiesen: Es gibt eine Reihe von Problemen. Einmal gibt es eine große Spannung zwischen der institutionellen EU-Öffnungspolitik und der Situation vor Ort. Dann gibt es Tendenzen, die in Richtung auf eine Peripherisierung der Grenzräume hinauslaufen. Das sind Prozesse, die die Abwanderungs- und Schrumpfungsdynamik in Ostdeutschland noch verstärken.

Wie sieht es denn mit der wirtschaftlichen Struktur auf der polnischen Seite aus?

Auch auf polnischer Seite gibt es erhebliche Abwanderung. Allerdings ist es hier auch zu einer ganzen Reihe von Unternehmensgründungen gekommen, sehr viel mehr als auf deutscher Seite. Die informellen Grenzökonomien haben da eine Rolle gespielt, auch die Basarwirtschaft. Das war, wenn Sie so wollen, eine Phase der primären Akkumulation, die jetzt in einem nächsten Schritt zunehmend in formellere Formen des Wirtschaftens überführt werden. Und so etwas hat es auf ostdeutscher Seite so gut wie überhaupt nicht gegeben.

Über diese Dinge wird von den Politikern nicht gerne gesprochen. Stattdessen ist fast ausschließlich von den Chancen der Osterweiterung die Rede.

In der Tat gab es lange Zeit die Dauerparole „Grenze als Chance“. Die faktischen Probleme, die sich in der Grenzregion massiert haben, sind dagegen lange Zeit überhaupt nicht zur Kenntnis genommen worden. Das ist sicherlich inzwischen anders. Seit die Rede von „sterbenden Städten“ auch in der Politik angekommen ist, gibt es da auch Umsteuerungsversuche, allerdings sehr späte.

Wie könnten europäische, nationale und auch regionale politische Konzepte aussehen, die der Dimension der Probleme gerecht werden? Stichwort Frankfurt (Oder) – Stadt des Wissens.

Als Erstes, denke ich, muss man zur Kenntnis nehmen, dass es im Prozess der europäischen Vereinigung jetzt plötzlich mitten in Europa neue Peripherien geben wird. Die Ungleichmäßigkeit der Entwicklung wird sich also zum Teil dramatisch erhöhen. Es wird regionale Wachstumszentren geben, und es wird peripher fallende Regionen geben, die aus der Entwicklungsdynamik mehr oder weniger rausfallen. Die Ungleichheit zwischen verschiedenen Räumen wird sich also vergrößern. Und dann, in der Tat, muss man sich den neuen ökonomischen Tendenzen, Stichwort Wissensbasierung, nicht nur der High-Tech-Branchen, sondern bis in die Low-Tech-Bereiche hinein, stellen. Dazu schlagen wir die Entwicklungsperspektive „lernende Regionen“, „lernende Städte“ und „lernende Grenzräume“ vor.

Das „lernende“ Frankurt und das „lernende Słubice“ sehen so aus, dass die Viadrina wie ein Raumschiff in der Stadt gelandet ist. Der Regionalexpress fährt doch nur deshalb alle halbe Stunde von Berlin nach Frankfurt und zurück, weil der größte Teil der Studenten und Lehrkräfte pendelt.

Das alles geht nicht von heute auf morgen. Das gilt auch für die bessere Einbindung einer wiedergegründeten Universität in einer Stadt, die mit den intellektuellen Traditionen, aus denen diese Universitätsgründung einmal hervorgegangen ist, überhaupt nichts mehr am Hut hatte. Im Augenblick ist es so, dass die Universität tatsächlich so etwas wie einen UFO-Charakter an den Gestaden der Oder hat, das Collegium Polonicum vielleicht sogar noch mehr. Natürlich gibt es auch Versuche, das mehr zu vernetzen, es gibt etliche Professoren, die mit ihrer Forschung auch lokale Probleme aufgreifen. Das muss verstärkt werden. Die umtriebige Rektorin spielt dabei eine wichtige Rolle.

Warum trennt die Grenze vielerorts noch mehr, als sie verbindet?

Da ist zum einen die Sprachgrenze, die härteste in ganz Europa. Dann hat es nach dem Krieg auf beiden Seiten einen faktischen Austausch der Bevölkerung gegeben. Weiter darf man auch nicht das schwierige Verhältnis Polen/DDR vergessen. Da gibt es teilweise unvermutete Überlegenheitsgefühle der Polen gegenüber den gelernten DDR-Bürgern. Die haben nicht vergessen, wie lange sich da stalinistische Praktiken gehalten haben. Auf der deutschen Seite wiederum kann man mit einer katholisch geprägten Kultur offenbar wenig anfangen. Dabei könnte man da viel lernen, wie man zum Beispiel mit einem höheren Anteil von informellen Praktiken Alltag und Ökonomie und sogar Politik organisieren kann. Aber am Beispiel „Essen“ kann man gut belegen, wie wenig Lust man auch auf der deutschen Seite auf die Kultur des Nachbarn hat. Sie haben auf Gubener Seite zwar einen Asia-Imbiss, aber eine polnische Würstchenbude werden Sie vergeblich suchen. Und umgekehrt auch.

Sie sprechen auch von „unterschiedlichen Innovationsbereitschaften auf beiden Seiten. Was verstehen Sie darunter?

Das betrifft den Zusammenstoß von zwei Transformationspfaden. Der polnische Weg raus aus dem Sozialismus, der Big Bang, hat ohne soziale Absicherungsprozesse relativ plötzlich auf Marktmechanismen umgestellt, mit starken sozialen Disparitäten. Und dagegen der ostdeutsche Weg, der mit sehr viel Transfergeldern und einer relativ guten Abfederung vonstatten ging. Diese beiden Transformationspfade haben unterschiedliche Modernisierungsoptionen für die lokalen Akteure, auch für Mentalitäten zur Folge. Und im Grenzraum stoßen die sozusagen aufeinander. Also der eher Modernisierung anstoßende polnische Weg, den postsozialistischen Entwicklungsprozess auf eigene Rechnung zu machen. Und der ostdeutsche Weg, der in einer merkwürdigen Mischlage alle Verhängnisse von oben vermutet, aber auch alle Hoffnungen. Da gibt es eine ganze Reihe von Prozessen, die sich im Grenzraum dramatisch zuspitzen.

Heißt das, dass die polnische Seite sehr viel besser auf die Osterweiterung vorbereitet ist?

Das ist so nicht gesagt. Insgesamt werden die Peripherisierungsprozesse sich auf beide Seiten erstrecken. Die stärker sich entwickelnden Zentren liegen in der zweiten Reihe. Aber die gleiche Peripherisierung wirkt auf der deutschen Seite anders als auf der polnischen Seite. Für die polnische Seite haben wir etwa in neuen Fallanalysen über polnische Modernisierer, die jungen Eliten also, klare Signale bekommen, dass die überhaupt keine lokalen Bindungen mehr haben. Die sind auf dem Trip von Funktionseliten, die machen Karrierepläne, die mit dem Grenzraum überhaupt nichts mehr zu tun haben. Die sind mit ihren Köpfen schon entweder im Rhein-Main-Gebiet oder noch weiter westlich.

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