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Radikale killen Gift

Der Arbeitsbereich Umweltschutztechnik der TU Harburg versucht seit 20 Jahren mit dem Gift im Elbsediment fertig zu werden

Von GERNOT KNÖDLER

Womit sollen sich Umwelttechniker in Hamburg beschäftigen, wenn nicht mit dem Gift, das die Elbe herbeischwemmt. Vor 20 Jahren, als der Arbeitsbereich Umweltschutztechnik der Technischen Universität (TU) Harburg gegründet wurde, war der Strom noch so schmutzig, dass die Fische Furunkel kriegten. Cadmium, Blei und Quecksilber landeten in rauen Mengen in Hamburg. Dazu kamen die Altlasten von Deponien und alten Industrieansiedlungen. Mit der schieren Masse einzelner Schadstoffe wissen die Forscher der TU inzwischen ganz gut umzugehen. Dafür macht ihnen heute die Kombination kleiner Mengen verschiedenster Chemikalien Sorge.

Verblüffenderweise habe die Giftigkeit der Flüsse in den vergangenen Jahren nicht abgenommen, obwohl die Mengen schwer giftiger Stoffe stark zurückgegangen seien, sagt der Ökotoxikologe Wolfgang Ahlf. Seine Zunft misst die Belastung von Böden und Gewässern durch ihre Wirkung auf darin lebende Organismen. Lagen die Werte für Quecksilber und Cadmium zu Zeiten der Wende noch beim 100fachen der natürlichen Konzentration, ist dieser Faktor bis heute auf das 30fache zurückgegangen. Inzwischen wirke die Elbe auf Testorganismen ähnlich wie der Rhein, sagt Ahlf. Er hat West-Probleme, als deren Ursache die Ökotoxikologen um immer neue Stoffe bereicherte Chemikalien-Cocktails vermuten.

Deren Giftigkeit ergibt sich aus der Anhäufung der Gifte und den Wechselwirkungen zwischen ihnen. „Wir suchen Ursachen“, sagt Ahlf, „das Problem ist aber, dass sie manchmal um die Ecke liegen können.“ Manche Effekte sind Ergebnisse komplizierter Wirkungsketten, die nur mit mathematischen Modellen entschlüsselt werden können.

Trotzdem stellt sich weiterhin die scheinbar banale Aufgabe, einzelne sehr giftige Stoffe unschädlich zu machen. Dazu gehören zinnorganische Verbindungen wie das bekannte Tributylzinn (TBT). Lange Zeit galt es als probates Mittel, Muscheln daran zu hindern, auf Schiffsrümpfen zu siedeln und deren Fahrt zu bremsen. Dann stellte sich heraus, dass der Stoff weibliche Schnecken in der Themse dazu veranlasste, sich in Männchen zu verwandeln.

Das Problem: TBT wirkt wie ein Hormon. Winzige Mengen genügen, um bei Organismen fatale Wirkungen zu erzielen. „Das ist einer der giftigsten Stoffe, die es überhaupt gibt“, sagt Wolfgang Calmano, der als Chemiker mit Ahlfs zusammenarbeitet. Calmano hat ein Verfahren entwickelt, mit dem TBT zerstört werden kann. Eine entsprechende Pilotanlage in Bremen soll bis zum Jahresende beweisen, ob das Verfahren alltagstauglich ist.

Der Leiter des Arbeitsbereichs, Ulrich Förstner, befasst sich derweil damit, ob und wie Schadstoffe so in Sedimenten abgelagert werden können. Nachhaltig wäre das dann, so Förstner, wenn es „100.000 Jahre liegen kann, ohne dass es Schaden anrichtet“. Weil das schwierig ist, wollen sich er und seine Kollegen künftig verstärkt dem gesamten Lebenszyklus von Produkten zuwenden, so dass Schadstoffe erst gar nicht entstehen.

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