piwik no script img

Ein lukrativer Nebenjob

Gestern hat der Prozess gegen zwei Polizeibeamte, einen Apotheker sowie zwei mutmaßliche Dealer begonnen, die im großen Stil Anabolika verkauft haben sollen

Der Staatsanwalt muss zwischendurch Wasser trinken und Zigarettenpausen machen, so anstrengend ist das Verlesen der Anklage, so lang, wie sie ist. Fast 1.000 Straftaten listet die Akte auf. Es geht um Drogenhandel, Anabolika und Korruption innerhalb der Berliner Schutzpolizei.

Die kriminelle Energie des Hauptangeklagten hat schließlich für einen Spitznamen in den entsprechenden Kreisen gereicht. „Bullen-Kalle“ wurde der 34-jährige Polizeimeister Karsten M. genannt, weil er bisweilen sogar in Uniform und im Dienst bei seinen Drogenlieferanten vorgefahren sein soll. Zusammen mit zwei Kollegen sitzt er seit gestern vor dem Landgericht. Ebenfalls verantworten müssen sich ein Apotheker und zwei weitere Männer. Letztere sollen die Drogendealer gewesen sein.

Bullen-Kalle und seine Kollegen sollen fünf Jahre lang Kokain, Ecstasy-Pillen und Anabolika vermarktet haben. Die meisten Abnehmer waren bei der Polizei. Zudem soll Karsten M. heimlich Daten aus dem Polizeicomputer abgefragt haben. Aus eigener Neugier oder zum Tausch gegen Rauschgift, sagt die Anklage. Auch Munition, die von den Polizisten im Dienst sichergestellt wurden, sollen weiterverkauft worden sein. Rund 500 Euro soll sich Bullen-Kalle pro Monat mit seinen Geschäften dazuverdient haben. Jede Woche soll er sich außerdem mit dem Apotheker per Handy verabredet und in einem Fitnessstudio zur Übergabe von Anabolika getroffen haben. Die Staatsanwaltschaft schätzt den Gewinn auf eine mindestens sechsstellige Summe.

Bei Ermittlungen im Rotlichtmillieu waren im Herbst 2000 die Verbindungen zur Polizei allerdings aufgefallen. Bei einer Großrazzia wurden daraufhin Wohnungen, Polizeidienststellen und Fitnessstudios durchsucht. Die Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen gegen 111 Personen auf, darunter 27 Polizisten.

Bullen-Kalle hat inzwischen auch die Politik beschäftigt. Innensenator Körting (SPD) musste sich im Innenausschuss vom Grünen-Fraktionschef vorwerfen lassen, er verharmlose den Fall. Körting hatte davor erklärt, unter 27.000 Berliner Polizisten gebe es „auch mal das eine oder andere schwarze Schaf“.

Karsten M. ist ein kräftiger Mann mit kurz geschorenem Haar, dem man abnimmt, dass er in Fitnesstudios verkehrt. Aufmerksam hört er dem Staatsanwalt zu, manchmal schiebt er die Unterlippe vor, hebt die Augenbrauen. Man kann sich vorstellen, wie die nüchtern in der Anklage aufgeführten Mengen von Ecstasy-Pillen und Kokain im Kopf zu Erlebnissen und Begegnungen werden, wie Jahre im Zeitraffer vorüberziehen.

Die Verhandlung wird nächsten Mittwoch fortgesetzt. Vor Beginn des Prozesses haben die beiden vom Dienst suspendierten Polizisten Geständnisse abgelegt. KIRSTEN KÜPPERS

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen