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Stumpfe Nadeln

Drogenhilfe-Initiativen verlangen bessere Gesundheitsversorgung für Häftlinge. Justizbehörde: Spritzentausch offenbar unwichtig

von GERNOT KNÖDLER

Vertreter verschiedener Drogen- und Aidshilfe-Initiativen haben den Senat aufgefordert, den Spritzentausch für Drogensüchtige in den Gefängnissen wieder zu ermöglichen. Auf einer Podiumsdiskussion anlässlich der 7. Suchttherapietage bezeichneten sie den Spritzentausch als einfache Möglichkeit, den Gesundheitszustand von Menschen in Haft zu verbessern. „Das war ein kleiner Schritt in Richtung Gesundheitsförderung für Häftlinge“, sagte Wilfried Wilkens vom Hamburger Fortbildungsinstitut Drogen und Aids (Hida). Ein Schritt, den der Rechtssenat im Februar zurückgegangen ist, ohne im Gegenzug das Versprechen „alle Hilfe den Abhängigen“ wahr zu machen. So sehen es zumindest Hida, die Landesstelle gegen die Suchtgefahren sowie die Aids-Hilfe.

Aus ihrer Sicht war der Spritzentausch, mit dem 1996 im Gefängnis Vierlande begonnen wurde, schon allein deshalb ein Erfolg, weil er die Häftlinge erreichte. Zwischen Juni 1996 und Ende 1998 seien in den beteiligten Hamburger Knästen im Durchschnitt 500 Spritzen pro Monat getauscht worden. „Jede saubere Spritze ermöglicht eine saubere Injektion“, sagt Wilkens – und verhindert damit eine Infektion.

Wilkens und Co. gehen davon aus, dass 30 Prozent der 3000 Häftlinge in Hamburg Rauschgift konsumieren, 300 bis 400 von ihnen mehrmals pro Woche. Allein 70 bis 90 Prozent derjenigen, die sich im Gefängnis Drogen spritzen, seien mit schwer heilbarer Hepatitis C infiziert –eine Rate, die sich durch simple Vorbeugung drücken ließe. Was dadurch erreicht werden kann, demonstriert Jörg Korrell von der Aids-Hilfe: Bundesweit sei die Zahl der Drogenkonsumenten unter den HIV-Infizierten von 30 Prozent Mitte der 90er Jahre auf zwölf Prozent im vergangenen Jahr zurückgegangen.

Korrell und Wilkens verstehen den Spritzentausch denn auch als Teil eines umfassenden Gesundheitsprogramms für Gefangene. „Jeder soll in die Lage versetzt werden, für sich und seine Gesundheit zu arbeiten“, sagt Korell. Dabei müsse das Ziel sein, Menschen, insbesondere Drogenabhängigen, innerhalb und außerhalb der Gefängnisse die gleichen Hilfsangebote zu machen, sagt Wilkens. Das gelte für die Infektionsprophylaxe ebenso wie für die Behandlung einer Sucht, etwa durch Akupunktur.

Die Politik des Senats setze dagegen einseitig auf Repression nach dem Motto, „Ich möchte keinen Alkoholismus und verbiete die Gläser“, so Korrell. Die Folgen für die Häftlinge sind fatal: „Die Stationspumpe (eine Spritze für einen Saal) ist wieder im Verkehr“, sagt Wilkens. Die Häftlinge schärften stumpfe Nadeln an den Wänden und fügten sich deshalb beim Drücken Blutergüsse und Ödeme zu. Ausgefeilte Hilfsprogramme, wie sie die Repressionspolitik etwa in Frankfurt/Main begleitet hätten, fehlten in Hamburg.

Nach der Abschaffung des Spritzentausches habe die Justizbehörde zusätzliche Ärzte in Bereitschaft gehalten, sagt deren Sprecher Kai Nitschke, etwa um auf Entzugserscheinungen reagieren zu können. Allein: Es habe praktisch keine Reaktion – auch nicht im Sinne einer Revolte – von den Gefangenen gegeben. „Wir glauben daher, dass die Automaten nicht so wichtig waren“, schlussfolgert der Sprecher.

Wilkens hält es dagegen für notwendig, die Häftlinge zu motivieren, sich um ihre Gesundheit zu kümmern. „Die Leute haben elementare Überlebensinteressen, die realisieren sie“, sagt der Drogenexperte. „Gesundheit ist ganz weit weg.“ Und der angezweifelte Erfolg von Spritzentauschprogrammen hänge davon ab, wie der Tausch ablaufe. „Automaten sind nicht state of the art“, sagt Korrell.

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