: Szenen einer Fußballehe
Ausgerechnet Südkorea und Japan mit ihrem historisch belasteten Verhältnis müssen erstmals eine Fußballweltmeisterschaft gemeinsam durchführen. Das Ergebnis dieser Hochzeit wider Willen sind getrennte Veranstaltungen und nur wenig Verständigung
von SVEN HAN-SEN
Kommenden Freitag beginnt die Fußballweltmeisterschaft. Zur Mittagszeit eröffnen Titelverteidiger Frankreich und Senegal das Turnier der 32 Mannschaften. Für Südkorea und Japan fängt allerdings obendrein eine ganz andere Konkurrenz an: die um den besten Gastgeber.
Beide Länder wollen demonstrieren, dass sie das Turnier ebenso gut auch allein hätten austragen können. In Südkorea wurden eigens für diese – neben den Olympischen Sommerspielen – wichtigste Sportveranstaltung der Welt zehn Stadien neu gebaut, in Japan sechs. Die Sorge, gegenüber dem Mitveranstalter ins Hintertreffen zu geraten, führte zu beispiellosen Investitionen in beiden Staaten. Dabei beugten sich beide Länder der Nötigung zur Zusammenarbeit durch den Weltfußballverband Fifa nur, weil sonst das andere Land allein den Zuschlag erhalten hätte.
In einem gemeinsamen Organisationskomitee konnten und wollten sie nicht arbeiten. „Eine im Wortsinn gemeinsame WM – das ist unmöglich“, sagte der Chef des japanischen Organisationskomitees, Ken Naganuma. Schon im vorigen Dezember lieferte die Auslosung der acht Vorrundengruppen und des weiteren Turniertableaus einen Vorgeschmack des Selbstverständnisses als „gemeinsame“ Gastgeber der ersten Fußball-WM in Asien. Bei dem exklusiv koreanisch inszenierten Spektakel in der Hafenstadt Pusan – dort, wo Korea mit zweihundert Kilometern Entfernung Japan am nächsten ist – trat viel einheimische Prominenz auf, während der Mitausrichter Japan nur eine Statistenrolle zugewiesen bekam. Fifa-Chef Sepp Blatter musste in einem Brief gar die koreanische Regierung um Erlaubnis bitten, den von der Popsängerin Anastacia vorgetragenen WM-Song „Boom“ auch auf Japanisch zu spielen, nicht nur auf Englisch und Koreanisch.
Südkorea erlaubte es gnädig. Und dank der WM genehmigt es inzwischen ebenfalls, dass japanische Lieder – wenn auch nur bis Ende Juli – öffentlich gespielt werden. Umgekehrt setzt Japan für die Zeit des Turniers die Visumpflicht für Südkoreaner aus. Ist es inzwischen zu verstärkten Kontakten, mehr Flug- und Schiffsverbindungen und engerer Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern gekommen, so hat dies jedoch bisher kaum zu besserer Verständigung oder gar einer Aussöhnung der beiden fernöstlichen Nachbarn geführt.
Weiterhin dominieren Misstrauen und Rivalität. Immer wieder kommt es zwischen beiden Ländern trotz intensiver Handelsbeziehungen zu Missstimmungen. Mitte April zitierte Südkoreas Regierung den japanischen Botschafter ins Außenministerium, um gegen Junichiro Koizumis Besuch des Yasukuni-Schreins in Tokio zu protestieren. Denn Japans Ministerpräsident hatte dem Symbol einheimischer Rechtsradikaler, wo neben Nippons zweieinhalb Millionen Kriegstoten auch verurteilte Kriegsverbrecher als shintoistische Gottheiten verehrt werden, erneut seine Aufwartung gemacht und damit Südkorea provoziert.
Schon vor Jahresfrist hatten dagegen Süd- und Nordkorea, China und Taiwan protestiert: Länder, die wie Japan selbst über feinste Antennen für politische Symbolik verfügen. Koizumi hatte zwei Tage vor dem historischen 15. August die Stätte besucht. An diesem Jahrestag des Kriegsendes im Pazifik 1945 gedenken die Japaner ihrer Kriegstoten. Bevorzugt sehen sie sich dabei in der Rolle von Opfern, war Japan doch das Ziel der ersten beiden Atombomben.
Die Koreaner dagegen feiern an diesem Tag die Befreiung von 35 Jahren japanischer Kolonialherrschaft. Koreaner sind bis heute der Meinung, Japan habe sich für seine brutale Herrschaft und seine Kriegsverbrechen nicht angemessen entschuldigt. Seit 1992 demonstrieren mittwochs in Seoul ehemalige koreanische Zwangsprostituierte der japanischen Armee vor der Botschaft des Kaiserreichs. Die hochbetagten Frauen warten immer noch auf eine offizielle Entschädigung durch Tokio. Zwischen 1937 und 1945 wurden etwa zweihunderttausend Frauen in den von Japan besetzten Ländern zur Prostitution in Truppenbordellen gezwungen, was Japan bis heute bestreitet. Die meisten dieser Frauen stammten aus Korea.
Als im Dezember 2000 ein Tribunal von Frauen- und Menschenrechtsorgansiationen in Tokio Kaiser Hirohito für die sexuelle Versklavung der Frauen symbolisch verurteilte, berichteten nur wenige japanische Medien davon. Streit gibt es auch um Fischereirechte und um eine unbewohnte Inselgruppe im Japanischen Meer, das die Koreaner Ostmeer nennen. Sie wird von beiden Staaten beansprucht und von Japan Takeshima, von Korea Tokdo genannt.
Im vergangenen Jahr erreichten die koreanisch-japanischen Beziehungen einen atmosphärischen Tiefpunkt, nachdem die Regierung in Tokio acht neue Bücher für den Geschichtsunterricht genehmigt hatte. Weil in ihnen beispielsweise die Zwangsprostituierten nicht erwähnt werden und Japans Eroberung Asiens beschönigt wird, verfälschen die Bücher in den Augen von Koreanern die Geschichte. Als Seouls Wunsch nach Änderung von 35 Passagen in den Büchern abgewiesen wurde, zog man vorübergehend den Botschafter aus Tokio ab.
Friedensnobelpreisträger Kim Dae-jung, der japanfreundlichste Präsident, den Südkorea je hatte, war nach eigenen Worten „schockiert“ von Tokios Verhalten. Dabei war Kim, der in den Siebzigerjahren vor heimischer Verfolgung nach Japan geflohen war, angetreten, das Verhältnis zu verbessern. Unter seiner Regierung wurde das Verbot japanischer Kultur in Korea gelockert.
Weil die Japaner während ihrer von 1910 bis 1945 dauernden Annektion Koreas versucht hatten, die dortige Kultur auszulöschen, und zum Beispiel die koreanische Sprache verboten, revanchierte sich Seoul später mit einem Verbot japanischer Kulturimporte. Erst unter Kim Dae-jung wurde dieses Embargo seit 1998 gelockert. Japanische Comics zu lesen war wieder erlaubt. Doch voriges Jahr sah sich Kim genötigt, wegen Japans Uneinsichtigkeit im Schulbuchstreit eine weitere Öffnung auszusetzen. „Wie können Menschen, denen das richtige Wissen über die Geschichte ihres Landes fehlt, Freundschaft mit ihren Nachbarländern schließen?“, fragte er. Die „Zivile Bewegung für die Korrektur japanischer Schulbücher“ aus achtzig koreanischen Organisationen drohte gar mit einem Boykott japanischer Produkte.
Alles in allem sind Japan und Korea von einer Normalisierung ihrer Beziehungen weit entfernt, zumal es nach wie vor schwierig ist, in Japan den Won, die koreanische Währung, in Yen umzutauschen. Wenig überraschend also, dass in Korea bei der älteren Generation von der Kolonialzeit her noch immer Bitterkeit dominiert. Jüngere Koreaner, die sich für Japans Popkultur begeistern, wollen von den Japanern als gleichberechtigt anerkannt werden. Im Aufsteigerland Südkorea ist es üblich, sich am schon länger industrialisierten Japan zu messen. Kein Wunder, dass koreanische Fußballfans im November zu feiern wussten, dass ihr Team weniger hoch gegen Senegal verloren hatte als kurz zuvor das japanische.
Aber was schert das die Japaner? Sie blicken eher nach Amerika oder Europa. Überhaupt nervt die Japaner die koreanische Fixiertheit auf die Vergangenheit. Was nur ein Ausdruck der Verachtung Japans für die unwürdigen Nachbarn ist. Väter engagieren schon mal Detektive, um sicherzugehen, dass ihr künftiger Schwiegersohn nicht etwa koreanischer Abstammung ist. Japans Jugend ist heute zwar den Koreanern gegenüber offener, aber frei von Ressentiments ist sie längst nicht. Die über sechshunderttausend seit dem Zweiten Weltkrieg in Japan lebenden Koreaner, Nachkommen der einst 2,3 Millionen in die Kriegsökonomie gelockten und verschleppten koreanischen Arbeiter, sind Nippons größte Minderheit. Aber von Gleichberechtigung ist keine Rede, nicht einmal an Wahlen dürfen sie teilnehmen. Und regelmäßig werden ihnen Fingerabdrücke abgenommen.
Es gibt allerdings Hoffnung auf Besserung. „Durch die WM erfahren Japaner jetzt mehr über das Nachbarland“, meint die Journalistin Aki Adachi aus Tokio. Wenn Japans Medien häufiger über Korea berichteten, profitierten davon auch die in Japan lebenden Koreaner. Noch immer erregt es ungläubiges Staunen, wenn Koreaner und Japaner anders miteinander umgehen, als es den Klischeevorstellungen entspricht.
Als ein Koreaner einen betrunkenen Japaner retten wollte, der in einem Tokioter Bahnhof auf die Gleise gefallen war, und beide von einem Zug überrollt wurden, war in Japans Hauptstadt das Erstaunen groß: Ein Koreaner hat für einen Japaner sein Leben riskiert! Umgekehrt wurde eine in Seoul lebende Japanerin zum Liebling koreanischer Medien, weil sie freiwillig im ehemaligen Sodaemum-Foltergefängnis japanische Touristen über die Gräuel der Kolonialherrschaft aufklärt.
Als das Fifa-Exekutivkomitee am 31. Mai 1996 in Zürich den ungewöhnlichen Entschluss fasste, die Weltmeisterschaft 2002 an beide Staaten zu vergeben, waren dem verbissene und sehr aufwändige Bewerbungen der beiden einzigen Kandidaten vorausgegangen. Der damalige brasilianische Fifa-Präsident João Havelange hatte sich für Japan ausgesprochen. Nippon hatte nicht nur ein gutes Konzept vorgelegt, sondern versprach auch den lukrativeren Markt: Asien insgesamt gilt als Fußballentwicklungsgebiet. Doch Havelanges Neigung war in seinem Verband nicht unumstritten. Unter den Funktionären verfügte Südkorea mit dem Fifa-Vizepräsidenten Chung Mong-joon über Einfluss. Vor ihrer Abstimmung hatten die Fifa-Funktionäre den Eindruck gehabt, angesichts der erbitterten Rivalität zwischen den beiden Bewerbern würde jede Entscheidung zugunsten eines Kandidaten einen herben Gesichtsverlust für den Unterlegenen bedeuten und damit viel Schaden anrichten.
So entstand die vom europäischen Verband Uefa favorisierte Idee, das Turnier an beide Staaten zu vergeben. Ursprünglich soll der Vorschlag sogar aus Japan stammen. Doch dann waren es die lange favorisierten Japaner selbst, die sich bis zuletzt vehement gegen den vom deutschen Fifa-Funktionär Gerhard Mayer-Vorfelder als „salomonische Lösung“ bezeichneten Kompromiss sperrten.
Während Havelange sich nach der Entscheidung sogar Hoffnungen auf den Friedensnobelpreis machte – die Fifa sprach sich auch für eine Einbeziehung Nordkoreas aus –, sollte die Entscheidung seinem Nachfolger Sepp Blatter noch Kopfschmerzen bereiten. Denn Südkorea und Japan hatten in diesem Umfang noch nie zusammengearbeitet. Die Fifa musste sie schließlich immer wieder zwingen. Ein entnervter Sepp Blatter sagte vor einem Krisengipfel: „Das ist nicht die Hochzeit, die wir uns vorgestellt haben.“
Lediglich auf Druck der Fifa einigten sich beide Seiten, jeweils 32 Spiele durchzuführen, in Südkorea zu beginnen und in Japan das Endspiel stattfinden zu lassen. Dafür steht Korea im offiziellen Turniernamen „2002 Fifa World Cup Korea/Japan“ an erster Stelle. Was die Japaner nicht daran hinderte, die Reihenfolge umzudrehen; Südkoreas Proteste wurden ignoriert. Erst die Fifa zwang Nippons Funktionäre zum Einlenken. Der Generalsekretär des südkoreanischen Organisationskomitees, Moon Dong-hoo, räumt Schwierigkeiten der Zusammenarbeit ein: „Wir brauchten ein Jahr, um uns auf das offizielle Poster zu einigen.“
Die Südkoreaner fuchst aktuell am meisten, dass in Japan inzwischen alle Eintrittskarten verkauft sind, während auf ihrer Halbinsel einen Monat vor Turnierbeginn noch zweihunderttausend Tickets keine Käufer gefunden haben. Moon Dong-hoo sagt diplomatisch: „Es gibt eine gesunde Rivalität. Beide Nationen wollen erfolgreich sein, aber nicht auf Kosten der anderen.“
Die Fifa hatte sich unter erfolgreicher Zusammenarbeit allerdings etwas anderes vorgestellt. Trotzdem signalisieren Umfragen eine gewisse Verbesserung des bilateralen Verhältnisses. Das bewertet die Mehrheit allerdings immer noch nicht als gut. So bezeichneten in einer von den Zeitungen Yomiuri Shimbun in Japan und Hankook Ilbo in Korea durchgeführten Umfrage im März nur 47 Prozent der Japaner und 32 Prozent der Südkoreaner die beiderseitigen Beziehungen als anständig. 1996, im Jahr der Entscheidung über das gemeinsame Turnier, waren es allerdings nur 37 und 19 Prozent gewesen.
Dass die WM die Beziehungen vielleicht etwas verbessert, aber das Verhältnis nicht normalisiert, wird auch am Eröffnungsspiel in Seoul deutlich. Dort wird außer Japans Ministerpräsident Koizumi auch Prinz Takamado anwesend sein, der Ehrenvorsitzende des japanischen Fußballverbandes und die Nummer sieben im japanischen Kaiserhaus. Der Cousin des Tennos wird das erste Mitglied der kaiserlichen Familie überhaupt sein, das Kroea nach dem Zweiten Weltkrieg offiziell besucht.
Vergeblich freilich hatten die Koreaner Kaiser Akihito selbst eingeladen, der immerhin 1992 China besucht hatte. Seine Visite würde in Seoul als Beweis ernsthafter Bemühungen um eine Normalisierung der Beziehungen gesehen. So verglich denn auch Südkoreas Fußballchef Chung die Eröffnung des Turniers in Seoul ohne den Kaiser mit einer Hochzeit ohne Braut. Doch Tokios Außenministerium ist ein Besuch Akihitos wegen möglicher Proteste noch immer zu heikel. Der Tenno darf nur zum Endspiel im heimischen Yokohama.
Trotzdem sandte der Kaiser den Koreanern eine ungewöhnliche Botschaft. Im Dezember sagte er an seinem 68. Geburtstag: „Ich für mein Teil fühle eine gewisse Verwandtschaft mit Korea.“ Er bezog sich dabei auf die aus Korea stammende Mutter einer seiner Vorfahren im achten Jahrhundert und lobte die koreanischen Beiträge zur japanischen Kultur („Musik, Konfuzianismus und Buddhismus“). Es war das erste Mal seit 1868, der Geburt des modernen Japan, dass ein Mitglied der Kaiserfamilie die koreanischen Wurzeln betonte und daran erinnerte, dass Japan in der Vergangenheit vielfältige Einflüsse aus Korea aufgenommen hatte.
Manche Beobachter werteten diese Bemerkungen des Kaisers gar als die prägnantesten und politischsten seiner dreizehnjährigen Regentschaft. Doch wie hätte es anders sein können: Was in Südkorea für Schlagzeilen sorgte, wurde in Japan weitgehend ignoriert.
SVEN HAN-SEN, 41, schrieb als Schüler erste Sportberichte für Vereinsblätter. Seit 1997 ist er Asienredakteur der taz. Er hat Südkorea wie auch Japan mehrmals bereist
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