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„Einfach vernünftig arbeiten, wie alle“

■ Manchmal nützt auch die beste Integration nichts: Bremen schiebt weiter junge Kurden ab, weil ihre Eltern mit dem falschen Pass nach Deutschland kamen

„S-c-h-o-k-l-i“ buchstabiert der junge Mann seinen Namen. „Schokli, wie Schokolade – schmeckt auch so“, witzelt er, dabei ist ihm danach gar nicht zumute. Der junge Kurde aus dem Libanon soll in die Türkei abgeschoben werden, wie bis zu 500 andere staatenlose Kurden aus Bremen.

Es klingt nach derselben Geschichte wie immer: Mit der Familie ist der damals Sechsjährige 1988 vor dem libanesischen Bürgerkrieg aus seiner Geburtsstadt geflohen, über den Umweg Türkei. Im Libanon gab es keine Pässe für die kurdische Minderheit, deshalb nahm man den Umweg über die Heimat der Großväter in der Osttürkei. Um dort Pässe auf türkische Namen zu organisieren, brauchte es nur ein kleines Bakschisch, und die Flucht konnte weitergehen, nach Deutschland. Hier flog die doppelte Identität zwölf Jahre nicht auf, bis der Innensenator eine eigene „Sonderermittlungsgruppe“ einrichtete. Die betreibt seither den Nachweis der türkischen Identitäten und im Anschluss die Abschiebung in die Türkei.

Mit Schoklis großer Familie – er hat 14 Geschwister – tun sich die Behörden schwer: Die Mutter ist schwer herzkrank, außerdem in psychotherapeutischer Behandlung. Alle zwei Wochen muss sie der Ausländerbehörde per Attest nachweisen, dass sie nicht beim türkischen Konsulat in Hannover vorstellig werden kann, um sich vorläufige Einreisepapiere zu besorgen. Und ohne sie können die minderjährigen Kinder auch nicht zum Verlassen des Landes gezwungen werden. Anders Schokli und sein älterer Bruder: Sie sollen nun allein abgeschoben werden. Schon seit längerem bekommen sie ihre Duldungspapiere nicht mehr monatlich, sondern nur noch von Woche zu Woche. Schokli befürchtet nun, dass er schon beim nächsten Gang aufs Amt verhaftet werden könnte.

Das kann er einfach nicht verstehen. „Was habe ich denn getan?“, fragt der 20-Jährige. „Was kann ich dafür, was meine Eltern mit den Pässen gemacht haben?“ Er hat sich jedenfalls nichts zu Schulden kommen lassen, wedelt mit einem makellosen polizeilichen Führungszeugnis. Er hat seinen Hauptschulabschluss gemacht. Er hat sich eine Lehrstelle als Jalousiebauer gesucht. Aber nach fünf Monaten war Schluss. „Sie haben versäumt, mir mitzuteilen, dass gegen Sie während der Probezeit ein Auweisungsverfahren eingeleitet wurde“, steht im Kündigungsschreiben seines Chefs. Damit entfalle der Ausbildungsgrund, sich einen Nachwuchsmonteur für die Firma heranzuziehen. Davonr war auch später keine Rede mehr. Schokli hat es natürlich versucht, denn reden – das kann er. In fließendem Deutsch. Höflich. Korrekt. Aber nicht einmal die Schlichter von der Handwerkskammer konnten den Chef von einer vorläufigen Wiedereinstellung überzeugen.

Seit Februar geht Schokli wieder zur Schule, macht seinen Realschul-abschluss an der Erwachsenenschule am Doventor. Sein Klassenlehrer Dietmund Harbig bescheinigt ihm Zuverlässigkeit und gute bis sehr gute Leistungen. Sogar „positive Impulse für die ganze Klasse“ gebe er, schreibt der Pädagoge an Innensenator Kuno Böse (CDU). Seine frühere Lehrerin streicht sein „gutes Lernverhalten“ heraus.

Dabei geht Schokli nur weiter zur Schule, „weil ich nicht arbeiten darf.“ Vorbild ist sein ältester Bruder, der einen festen Job, nebenher noch einen Autohandel hat und inzwischen über eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung verfügt. Schokli will endlich auch eine Ausbildung machen und dann „einfach vernünftig arbeiten, wie alle.“

Stattdessen droht ihm nun die Abschiebung in ein fremdes Land. Er fürchtet, gleich zur türkischen Armee eingezogen zu werden, wo es Rekruten ohne Türkisch-Kenntnisse übel ergehen kann. Und in der arabischsprachigen Region um Mardin habe seine Familie „Feinde“, die schon seinen Großvater erschossen hätten. „Vielleicht werde ich auch verhungern“, sagt der Junge, der nach Schokolade schmeckt.

Jan Kahlcke

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