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Gesucht: Ein Zivi für Florian

Seit seiner Kindheit sind Zivildienstleistende für den muskelkranken Florian Weiß ständige Begleiter. Wenn er keine neuen Helfer findet, ist der 29-Jährige künftig ans Bett gefesselt

von KAIJA KUTTER

Ein junger Mann öffnet die Tür der Rahlstedter Parterrewohnung. Nein, dies ist nicht Florian Weiß. Der freundliche Zivildienstleistende weist mir den Weg ins Wohnzimmer, dann geht er nach nebenan, wieder lesen. Am Esstisch sitzt Florian, ein Getränk mit Strohhalm und ein offenes Buch vor sich, daneben liegt noch eingeschweißt das nächste. Ich will ihm die Hand geben. Gedankenlos. Er leidet an Muskelschwund, er kann seine Hand nicht heben. „Der Körper gewöhnt sich an die Krankheit. Das ist ein schleichender Evolutionsprozeß“, erklärt der 29-Jährige. Entdeckt hatte eine Ärztin die Krankheit, als er drei war. Bis zur 4. Klasse konnte er noch laufen. Seither führt er ein „Leben mit Zivis“, die ihn morgens abholten und zur Schule brachten und später immer mehr im Alltag halfen, je weiter die Krankheit fortschritt.

„Das Bundesamt sollte für Zivildienst werben“

Jetzt, so scheint es, ist es damit vorbei. „Wenn ich nicht bald einen neuen Zivildienstleistenden finde, muss ich den ganzen Tag im Bett liegen bleiben“, sagt Florian. Anziehen, aufstehen, waschen, essen, Kaffee kochen, ein Buch hinlegen, zur Computer-Tastatur gefahren werden, mit der er den Kontakt zur Außenwelt hält, all dies kann er nicht allein. „Ich glaube“, sagt er, „dann verliere auch ich den Lebensmut.“

Denn die Gesetzgeber in Berlin haben die Zivildienstzeit seit dem 1. Januar auf zehn Monate verkürzt. Die Folge: Florians Helfer – er braucht zwei, einen für die Morgenschicht und einen für den Abend – beenden schon am 4. und 10. Juni ihren Dienst. Ihre Nachfolger gehen aber noch zur Schule und stehen frühestens im Herbst bereit.

Das „Zivi-Sommerloch“, so beklagte auch jüngst das Diakonische Werk Hamburg, ist in diesem Jahr „so schlimm wie nie“. In Hamburg beenden 650 Zivis in diesen Wochen ihren Dienst, dem stehen bisher nur 140 neue Einberufungen gegenüber. „Wir bräuchten 35, haben aber nur 13 Zusagen“, sagt auch Ursula Bluhm von der Deutschen Muskelschwundhilfe in Hamburg, die neben Florian noch 29 weitere Kranke betreut. „Wenn wir nicht spätestens zum 1. August jemanden für diesen Jungen finden, muss die Mutter aufhören, zu arbeiten.“

Florian Weiß hat zwei Probleme, zum einen ein finanzielles. Ein Freund wäre bereit, als Behindertenassistent für ihn zu arbeiten, aber dies ist teurer. Das Geld von der Pflegekasse reichte dann nur für eine Schicht (siehe unten). Zum zweiten das personelle: Auch wenn Geld für eine zweite Schicht bereit stünde, bräuchte er auf jeden Fall einen Zivi, der sie übernimmt. Einen jungen Mann, der bereit ist, ein Jahr mit ihm zu verbringen. In seiner Not hat Florian schon Zettel an Schulen und Unis aufgehängt.

Zivildienstleistende können sich ihren Platz selber suchen. „Normalerweise haben sich immer im April schon welche bei mir gemeldet“, sagt Florian. Dass dies in diesem Jahr nicht geschah, führt er auch auf das Bundesamt für Zivildienst zurück. Bis vor zwei Jahren, so erklärt auch Bluhm, hätte das Bundesamt jeden schriftlich aufgefordert, sich eine Zivi-Stelle zu suchen. Seit dies unterbleibt, würden viele abwarten, ob sie dem Dienst entgehen können.

Statt es derart „schleifen zu lassen“, so denkt Florian, sollte das Bundesamt für den Zivildienst richtige Werbung machen. „Die sollten deutlich machen, dass das nicht nur den Behinderten was bringt, sondern auch den Zivis selber.“ So sieht der 29-Jährige sich keinesfalls nur als hilfsbedürftiges Opfer, sondern als jemand, der auch etwas zu geben hat.

Viele Zivildienstleistende – zu 90 Prozent Abiturienten – kämen direkt von zu Hause und hätten noch nie für sich, geschweige denn für einen anderen sorgen müssen. „Die lernen hier, Verantwortung zu übernehmen. Dass man etwas tun muss, weil da jemand von ihm abhängig ist.“ Florian muss es wissen. Nach Bekanntschaft mit über 200 Verweigerern ist er quasi Zivi-Experte.

Auch er selbst hat, soweit es möglich ist, das Leben eines normalen Jugendlichen gelebt. Er hört Musik, hat über 400 Videos, schreibt heimlich an einem Roman in Englisch und geht ab und zu in ein Rock-Konzert. „Ich glaube, ich war der einzige Rollstuhlfahrer, der je im Logo war“, sagt er. Das Jahr bei ihm, so Florian, habe manchen schon „selbstbewußter und fröhlicher gemacht“. Von der pränatalen Diagnostik, die verhindert, dass Menschen wie er überhaupt geboren werden, hält er nicht viel: „Wenn wir alle perfekt wären, hätten wir keinen mehr, auf den wir Rücksicht nehmen müssten.“

Kontakt: Florian Weiß, Tel. 672 70 87

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