Der Gesang des Gimpels

Eine Hinterachsdifferenzialsperre des Motorrollers in der Vögelwerkstatt

Oder ist es nicht doch wie das laute Schäckern der Wacholderdrossel?

Je frühlingshafter die Welt ausstaffiert ist, je linder die Luft, je wärmer die Straßen, desto lärmiger geht es zu. Es knattert, es mölmt, es tuckert, moppelt, spektakelt und knetert um und um. Es ist eine Pest: die Motorrollerpest. Kein Tag vergeht, keine Nacht endet, ohne dass alles in allem ein Schock Motorroller an einem vorbeigerollt ist, sofern man in einer mittleren Großstadt beheimatet ist. Nach Pasta, Pizza, Capucchino Macchiato hat der massenhafte Deutsche in den letzten paar Jahren auch die Vespa sich an-geeignet. Sie pöttern vorbei, mickernd wenn sie mofamäßige 50 Kubik haben, mölmend, wenn’s eine 500er ist. Von Designern entworfen, die Sessel und Sofas auf Rollen montiert haben, Joghurtbecher und Maulschlüssel auf Rädern. Dann gibt’s da noch die penetrant liebevoll gepflegten Veteranen, die Sammlerstücke, und die alten Möhren von anno tuck, die ihrem Fahrer trotzdem gute Dienste leisten.

Dieser da, dieser einer, genau, dieser ferrarirote Roller musste neulich in die Werkstatt. Das Geräusch, das er von sich gab; das, wenn er in Betrieb war, über der Gesamtgeräuschkaskade schwebte, sondern jetzt erst; dieses Geräusch war nicht normal, gehörte da nicht hin.

Der um Rat gefragte Spezialist antwortete: Das Zirpen einer Grille, sagen Sie? Sind Sie da ganz sicher? Könnte es nicht auch das zarte Judith-Judith-Judith der Singdrossel sein? Oder der leise, sirrende Ruf des Seidenschwanzes, dieser kühnen Gestalt mit seiner kecken Kopfhaube und seiner lustig gelben Schwanzbinde? Oder ist es nicht doch wie das laute Schäckern der Wacholderdrossel, deren Ruf hingegen leise schwätzend und eher unauffällig ist? Auch den Grünspecht wolle er nicht vergessen zu erwähnen, dessen grüngelber Bürzel im Flug gut zu erkennen ist. Des Grünspechts schallende, ja gleichsam lachende Rufreihen, sein beinahe schüchternes Kjück-Kjück-Kjück zum Beispiel, kämen durchaus auch in Frage und das würde immerhin auf die Kurbelwelle deuten. Oder ob eher das schnelle und hastige Stigelitt des Stieglitz in Betracht komme, der leise, wie nebenbei geäußerte, einfältige Gesang des Gimpels, der so überraschend kontrastiert mit seinem angenehm flötenden Ruf?

Ausschließen ließe sich auch nicht eine defekte Bremstrommel, die wie der kurze, eilige, ein wenig an den des Zaunkönigs erinnernde Gesang der Heckenbraunelle klänge, der beim Auffliegen in ein gedämpftes Zittern changiert? Der Motorrollerbesitzer verstand sich eigentlich als ein Mann des Wortes, aber jetzt fiel ihm nichts ein. Er war sprachlos. Eine Ewigkeit hatte er gebraucht, dieses Geräusch, das er während des Fahrens permanent und penetrant, investigativ geradezu belauscht hatte, mit irgendetwas zu vergleichen, einen geeigneten Vergleich zu finden. Wenn es aber, fuhr der Mechaniker fort, der abwechslungsreiche, bunt perlende Gesang des Rotkehlchens wäre, diese auch dem Laien vertraute, feine Komposition, die das Rotkehlchen von hoher Warte aus und in ebenso hohen Tonlagen zum Vortrag bringe, dann hätte er, der Motorrollerbesitzer, bestimmt von sich aus und ganz ohne zu zögern diesen als Vorbild und Analogie benutzt, davon gehe er jetzt mal aus, sagte der Mechaniker. Insofern fiele der weg. Ebenso würde er den zweigeteilten, einerseits krächzenden, andererseits gepressten Gesang des Hausrotschwanzes gar nicht erst in Erwägung ziehen, das sei indiskutabel, das sei unter kei-nen Umständen denkbar. Das nach freilich leisem Vorspiel laute, weittragende, monotone Klappern der Klappergrasmücke hingegen müsse man auf der Rechnung haben, das würde nur allzu leicht vergessen, wenn es darum ginge, Nebengeräusche von Motorrollern zu identifizieren. Da wäre dann die Zylinderkopfdichtung zu prüfen. Oder die Hinterachsdifferenzialsperre. Ach ja, das Zilpzalpzilp des Zilpzalps müsse er wohl nicht näher beschreiben, das heftige, trillernde Zetern der Blaumeise sei sowieso zu vernachlässigen, desgleichen das durchdringende Pink, nein Plink der Kohlmeise, deren Gesang meist drei- bis viersilbig das unüberhörbare und also auch jedem Nichtornithologen, so er nicht taub sei, bekannte Zizi da variiere.

Spontan anbieten könne er außerdem das Tschilpen des Haussperlings (Passer domesticus), den klar gegliederten Gesang des Buchfinks, das nasale Quäcken des Bergfinks, den an rollende rostige Kinderwagen erinnernden Gesang des Girlitz, das Klingeln des Grünlings oder das metallische, gleichzeitig nebenhöhlenartig generierte, zwanglose, ja zwangsjackenlose Singen des Bluthänflings (Acanthis cannabina) – er, sagte der Mechaniker zu dem Rollerbesitzer, er solle doch nun endlich mal sagen, was ihm zutreffend erscheine, sich endlich entscheiden. DIETRICH ZUR NEDDEN