: Schuld und Sühne im Ökoskandal
Die vergiftete Lagerhalle, aus der der verseuchte Ökoweizen kam, wurde schon länger für die Deponierung von Getreide benutzt. Verbraucherministerin Renate Künast rechnet mit Anklagen gegen die im Nitrofen-Skandal agierenden Firmen
von NICK REIMER
„Mecklenburg recherchiert zwar noch“, erklärte gestern Verbraucherministerin Renate Künast. Die gesamten belasteten Futtermittel seien jetzt aber „mit ziemlicher Sicherheit“ vom Markt – Schadensbegrenzung um die Vergiftung von Bioweizen mit dem illegalen Pflanzenschutzmittel. Die Staubprobe, in der am Freitag 2.000 Milligramm Nitrofen je Kilo gefunden worden waren, werde jetzt auch auf andere Pflanzenschutzmittel untersucht – ebenso wie das in Mecklenburg gesperrte Nitrofen-belastete Futtermittel. Der gemessene Nitrofen-Gehalt liegt um das 200.000-fache über dem zulässigen Grenzwert. Ergebnisse sind für heute angekündigt.
Klar wurde gestern weiterhin: Bevor die Norddeutsche Saat- und Pflanzgut AG (NSP) in der mit Nitrofen vergifteten Lagerhalle in Malchin Ökogetreide lagerte und von dort verschickte, wurde sie laut Landwirtschaftsministerium in Schwerin von einem anderen Unternehmen genutzt, „das mit landwirtschaftlichen Produkten handelte“. Stadtsprecher Thomas Koch kennt auch den Namen: Diver. Die Firma war im letzten Jahr in Konkurs gegangen, der Neustrelitzer Insolvenzverwalter Bernd Walte hatte einen Mieter für das Lagerhaus gesucht – und in der Norddeutschen Saat- und Pflanzgut AG (NSP) einen gefunden. Die wehrt sich jetzt gegen Schlampereivorwürfe. „Uns hat NSP erklärt, die Halle sei vor ihrer Nutzung von der Ökoprüfstelle Grünstempel untersucht worden“, so Ministeriumssprecherin Marion Zinke.
Grünstempel e. V., eine EU-Kontrollstelle für Erzeugung und Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte, hat den Betrieb zertifiziert. „Wir sind aber eine Verfahrenskontrolle, keine Analysestelle“, erklärt Torsten Jansen von Grünstempel. Der nahe Magdeburg ansässige Verein habe das NSP-Produktionsverfahren untersucht und Korrektheit festgestellt. Vom zuständigen Mitarbeiter des Vornutzers habe Jansen in Malchin erfahren, „dass davor hier auch Getreide gelagert wurde“. Für ihn habe es keine Hinweise gegeben, „wir haben uns nichts vorzuwerfen“, so Jansen gegenüber der taz.
Unterdessen weitet sich der Skandal weiter aus. Das ZDF verwies auf einen aktuellen Prüfbericht der Landwirtschaftskammer Rheinland in Bonn. Danach ist die Marke „Ökoergänzungsfutter fein“ für Schweine hochgradig belastet. Laut Prüfbericht wurde ein um das Achtfache erhöhter Nitrofen-Wert ermittelt. In einer Futtervariante, dem so genannten „pelletierten Schweinemastfutter“, seien deutlich höhere Werte gemessen worden.
Der von Schließung bedrohte Futtermittelproduzent GS agri aus Niedersachsen wehrt sich weiterhin gegen die Vorwürfe, wissentlich belasteten Weizen verkauft zu haben. Mittlerweile räumte die GS agri aber ein, „im März durch Analysen von Rückstellproben aus dem November 2001 von der Nitrofen-Belastung Kenntnis erhalten“ zu haben. Das niedersächsische Agrarministerium begründet die Schließung mit mangelnder Zuverlässigkeit. Schließlich habe die GS agri monatelang die Nitrofen-Funde nicht gemeldet.
Auch der in Kritik geratene deutsche Raiffeisen-Verband wehrt sich: Künast verunglimpfe den Verband mit pauschaler Kritik. Dabei hatte Künast sehr dezidiert von „drei Raiffeisen-Institutionen“ gesprochen, die „miteinander gemauschelt“ haben. Demnach hätten diese Institutionen von der Verseuchung gewusst und intern geprüft, wie der wirtschaftliche Schaden der betroffenen Betriebe minimiert werden könne. „Obwohl es eine Meldepflicht gibt, ist über Monate keine der Institutionen dieser nachgekommen“, so Künast.
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