harald fricke über Märkte: Zwei Hühnchen in Zeiten der Krise
Im Schatten der Treuhand: Der Futtermittelskandal ist auch ein Kapitel aus der Geschichte des Untergangs der DDR
Sonntagabend gab es Huhn aus dem Backofen, dazu geschmorte Zucchini und Porree, mit Parmesan bestreut. Aber vor allem doch: zwei Hühnchen in Zeiten der Krise. Sie waren nicht aus Niedersachsen, nicht aus Mecklenburg-Vorpommern und auch nicht vom Biobauernhof, da hatte der Gastgeber vorgesorgt und beim Händler französische Hühner gekauft. Nun ist es auch mit Tieren aus Frankreich nicht immer einfach, man kennt ja noch gut die Angst vor BSE-verrückten Kühen vor eineinhalb Jahren. Ich aber kenne den Koch, er ist Schweizer, und dem darf man in jedem Fall vertrauen.
Wem aber vertrauen die Konsumenten da draußen in der Bundesrepublik, wenn es ans Essen geht? Nach ersten Umfragen von Meinungsforschern glauben ein Drittel der Befragten, dass nicht ökologisches Versagen, sondern politische und wirtschaftliche Gründe hinter dem Giftskandal stecken. Danach soll „gezielt der Biobewegung sowie Verbraucherministerin Künast (Grüne) mitten im Wahlkampf geschadet werden“, heißt es in einer Mitteilung der neu gegründeten Umfrageagentur F&S ContentPlus. Deshalb haben auch nur vier Prozent der Befragten Ökoprodukte von ihrer Einkaufsliste gestrichen – das muss man wohl als Sieg der Verbraucherschutzministerin über Stoiber und seine Agrar-Panikmache werten.
Für Künast ist der Fall ohnehin Ländersache. Das giftige Nitrofen wurde in einer Halle in Malchin entdeckt, in der früher ein Teil der DDR-Staatsreserven für Pflanzenschutzmittel aufbewahrt wurde. Die Norddeutsche Saat- und Pflanzengut AG (NSP), die nun als Lieferant des kontaminierten Getreides auch von der Staatsanwaltschaft belangt werden soll, hat das Silo im Oktober 2001 gepachtet. Ursprünglich hatte die Treuhand das Lager 1990 für den Bund privatisiert, zuletzt hatte ein Insolvenzverwalter aus Neustrelitz das Gebäude ohne weitere Auflagen an die NSP vermietet. Deshalb wundert man sich auch nicht, wenn die NSP nun behauptet, es habe nie Hinweise auf die Vorgeschichte der Halle gegeben.
Wenn man sich von Berlin aus über die Landstraße der Kleinstadt Malchin nähert, braucht es keine Hinweise. Die Hauptindustrie vor Ort sieht man sofort. Wie eine Skyline ragen die Silotürme der diversen Futterwerke über das flache Land. Ein Teil davon gehört der Fugema Futtermittel- und Getreidehandelsgesellschaft mbH & Co. KG, die der wichtigste Betrieb in Malchin ist. Aber auch die Neubrandenburger Saat- und Pflanzengut GmbH hat sich auf den Standort in Mecklenburg-Vorpommern eingelassen. Deshalb gilt Malchin als Musterbeispiel für die positive wirtschaftliche Entwicklung in der ehemaligen DDR. Sogar die PDS-Abgeordnete Christa Luft spricht hier vor Ort ganz erfreut mit Genossen über „die Eigentumsfrage in der PDS-Programmatik“, wie sie in ihrem Tagebuch auf der Homepage www.bundestag.de letztes Jahr geschrieben hat, denn „jüngere und ältere Teilnehmer folgen meinem Plädoyer für einen Eigentumsmix zustimmend und steuern eigene Erfahrungen, Erlebnisse und Erkenntnisse bei“. Doch bei aller Liebe zum Aufschwung Ost: Einen kleinen Knacks hat die Karriere der bereits 1234 durch Nikolaus von Werle zur Stadt erklärten 8.794-Einwohner-Gemeinde schon vor vier Jahren bekommen. Im Januar 1998 wurde gegen einen griechischen Unternehmer dort Strafanzeige wegen Untreue und Betrugs erstattet. Er hatte, ausgerüstet mit einem Empfehlungsschreiben seiner Botschaft, Möbelwerke in Malchin und Umgebung aufgekauft, als Schnäppchen für 2,5 Millionen Mark. Das Geld hatte er wiederum aus dem Vermögen der Firmen abgezweigt, die ihm mit dem Kauf zufielen. Während die Möbelwerke kurz darauf Pleite gingen, investierte der „Ost-Unternehmer“ vor allem in den eigenen Lebensstil, danach soll er sich nach Griechenland abgesetzt haben.
Der kurze Blick hinaus über den Teller mit den Nitrofen-Hühnern drauf zeigt, wie leicht sich ein Futtermitteldrama zu einer Erzählung über Versäumnisse der Treuhand weiterspinnen lässt. Insofern ist auch die Biohuhn-Krise Teil der never ending story über den Untergang der DDR und die ökonomischen Folgen. Frau Künast war zu dem Zeitpunkt, als das Getreide nach Malchin kam, übrigens mit dem Verbot der Käfighaltung für Legehennen in Deutschland beschäftigt; die neue Verordnung kam am 19. Oktober letzten Jahres im Parlament durch. Wer jetzt an Verschwörungstheorien glaubt, sollte sich vielleicht mal mit der Verbraucherschutzministerin darüber unterhalten, wie freies Land für freie Hühner in Niedersachsen und das helle Gift des Ostens zusammenhängen. Am besten bei Broiler und Bier – oder ist auch schon der Hopfen an die Pestizidindustrie verloren?
Fragen zu Märkten?kolumne@taz.de
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