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Mütter wollen doch lohnarbeiten

Es fehlt an Kinderbetreuung: 70 Prozent der West- und 90 Prozent der Ostmütter wären gerne berufstätig, belegt eine Studie. Ganztagsbetreuung eher von Reichen genutzt. Kommunen, die Kitas einrichten, könnten Sozialhilfe sparen – wenn es Jobs gibt

von HEIDE OESTREICH

„Bei uns gibt es keinen Bedarf.“ Das hörte Familienministerin Christine Bergmann (SPD) oft, wenn sie in Deutschlands Süden unterwegs war, um für mehr Kinderbetreuungseinrichtungen zu werben. Die Frauen wollten doch eigentlich gar nicht so viel arbeiten, sondern lieber höchstpersönlich den Nachwuchs pflegen, argumentierten Kommunalpolitiker besonders in Bayern und Baden-Württemberg gern, um zu erklären, warum dort nur 1,4 Prozent der Kinder in einer Krippe untergebracht werden können.

Dagegen hilft nur eins: Wissenschaft. Bergmann ließ deshalb Mütter bundesweit und repräsentativ befragen; gestern stellte sie das daraus entstandene Gutachten vor. Und siehe da: 70 Prozent der Mütter mit Kindern bis zu 12 Jahren, die in Westdeutschland nicht erwerbstätig sind, möchten gerne lohnarbeiten. Im Osten sind es sogar 90 Prozent. Und dabei wurden offiziell arbeitslos gemeldete Mütter noch nicht einmal eingerechnet – sie kämen noch dazu.

Die Studie zeigt auch, dass die Mütter die Chance für die Realisierung ihres Wunsches halbwegs realistisch einschätzen: Wo ohnehin nur Halbtagsbetreuung angeboten wird, planen nur 28 Prozent der Mütter mit Kindern im Kindergartenalter, ins Berufsleben zurückzukehren. Wo eine Ganztagsbetreuung möglich ist, steigt die Zahl auf 50 Prozent.

Die Halbtagsbetreuung reicht vorne und hinten nicht aus. Diese Alltagserfahrung lässt sich nun auch mit Zahlen belegen: Über ein Drittel der Mütter mit halbtags betreuten Kindern würde gerne mehr arbeiten.

Bemerkenswerterweise stellte sich auch heraus, dass die wenigen Ganztagesplätze in Schulen und Kindergärten in Westdeutschland vor allem von reicheren Familien besetzt werden. Diese Tatsache steht im Gegensatz zu der allseits herumgeisternden Fantasie von den sozial schwachen Familien, deren Kinder „verwahrt“ werden, weil beide Eltern arbeiten müssen. Sie zeigt vielmehr, dass reichere Familien sich den Erwerbswunsch der Frau erfüllen – und keine Bedenken haben, die Kinder könnten in der Ganztagsschule nicht gut aufgehoben sein.

Je schwieriger der Zugang zu den Horten oder Kitas, etwa weil die Plätze knapp sind, desto mehr arme Kinder und Mütter bleiben zu Hause. Insbesondere Kinder von Zuwanderern, so zeigt die Studie, werden häufig ausschließlich zu Hause betreut. Dadurch entgeht ihnen aber auch die Chance, in frühester Zeit schon viel deutsch zu sprechen. Ihrer Integration dürfte das wenig zuträglich sein, meinen die AutorInnen der Studie, Katharina Spiess vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und Felix Büchel vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung.

Ganz nebenbei würde die flächendeckende Ganztagsbetreuung, die die rot-grüne Regierung mit 4 Milliarden Euro unterstützen will, noch eine andere Zahl verschönern. Etwa eine Million Kinder in Deutschland leben unterhalb der Armutsgrenze. Familien, in denen beide Elternteile arbeiten, weil das jüngste Kind in einer Krippe ist, haben im Westen 430 Euro mehr, im Osten 331 Euro mehr auf dem Konto als die Vergleichsgruppe, die ihre Kinder selbst betreut. Eine Selbstverständlichkeit, die aber für weitergehende Rechnungen interessant ist: So könnte etwa eine Gemeinde versucht sein, auszurechnen, was sie an Sozialhilfe einspart und an Einkommensteuer einnimmt, wenn sie in eine Kita investiert. Der passende Arbeitsplatz allerdings darf auch nicht fehlen. So ist beispielsweise im Osten zwar die Kinderbetreuung laut Ministerin Bergmann bedarfsgerecht: „Aber dafür fehlen die Jobs.“

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