: Medienkompetenz als Medizin
Alterskennzeichnung für Computerspiele soll nun Gesetz werden – online hofft man auf Selbstkontrolle. Ohne Erfurt hätte mehr Jugendschutz gar nicht zur Debatte gestanden
BERLIN taz ■ Eine Woche nach Erfurt: Eine „Allianz gegen Gewalt“ werde jetzt gebraucht, ruft die SPD. Bildungsministerin Edelgard Bulmahn fordert die „Task Force Gewaltfreie Schule“. Killerspiele generell verbieten, fordert die Union. Deren Kanzlerkandidat Edmund Stoiber bietet sich als Helfer für schärfere Gesetze an. So weit die Eckpunkte der Debatte um Jugend und Gewalt nach dem Amoklauf eines Erfurter Schülers Ende April.
Sechs Wochen nach Erfurt: Heute werden im Bundestagsausschuss für Jugend und Familie Änderungen zum Jugendschutzgesetz beschlossen. Ohne Erfurt hätte das Gesetz nicht mehr auf der Agenda gestanden. Wichtigster Punkt von SPD und Grünen: die generelle Kennzeichnungspflicht für Video- und Computerspiele. Demnach darf ab 1. Januar 2003 kein Computerspiel mehr ohne Altersstempel in den Handel.
Um den bisherigen Entwurf auf den Prüfstand zu stellen, lud der Ausschuss Anfang dieser Woche zur Expertenrunde. Während der Anhörung ging es fast nur um eines: die Medien, sprich jene, die Gewalt verbreiten. Das Zauberwort: Medienkompetenz. An der fehle es Kindern und Erziehern. Keine Lösung, so beklagen Experten auch, gibt es bislang dafür, dass Spiele zunächst auf den PC geladen und dann mit gewaltvollen Details „angereichert“ werden können.
Ob Computer-Kids sich so viel Mühe machen, wo es all das schon fertig im Internet gibt? Im Netz ruht die bescheidene Hoffnung auf freiwilliger Selbstkontrolle (FSK) der Produzenten. Die erklärten sich zumindest bereit, demnächst mit am runden Tisch gegen Gewalt zu sitzen. Was von Multimediavertretern dort zu erwarten ist, klang schon in der Anhörung zum Gesetzentwurf an. Sabine Frank von der FSK Multimedia wies darauf hin, dass die FSK kein Dienstleister sei und Unternehmen freiwillig keine Filter einrichten.
Auf nutzerautonome Filter setzt daher die SPD. Am heimischen Computer errichtet, ließen sie nur noch durch, was Eltern sich für ihre Kinder wünschten. Ein Vorbild könnte die kürzlich in den USA geschaffene kindgerechte Domain „kids.us“ sein.
Auch Jürgen Wiedemann von der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur in Bielefeld sieht im Mangel an Kindgerechtem den Kern des Problems. „Kinder brauchen Angebote, die nah an ihren Träumen und Wünschen sind“, sagt Wiedemann. Und: „Die Märchen der Brüder Grimm sind auch nicht gewaltfrei, doch damit können Kinder umgehen.“ Der Vergleich hinkt jedoch, wenn Kinder nicht die Wahl haben zwischen „Ich setz mich zu dir und erzähl dir ein Märchen“ und „Hier hast du den Gameboy“. Weder gemeinsam verbrachte Zeit noch Medienkompetenz lässt sich gesetzlich verordnen.
Die Märchenstunde ist vorbei. In Kinderzimmern schon lange und in der Politik nach Erfurt inzwischen auch. Nur bei der Union noch nicht. Die fordert weiter unverdrossen „ein generelles Verbot von Killerspielen“. Im sicheren Oppositionswissen, diese Forderung nicht worldwide umsetzen zu müssen. ANETT KELLER
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