Stasi-Gesetz notfalls ohne CDU

Rot-Grün will Akten wieder zugänglich machen. Birthler soll über Freigabe entscheiden

BERLIN taz ■ Heute behandelt der Bundestag in erster Lesung die Novelle zum Stasi-Unterlagen-Gesetz. Nach dem Willen der rot-grünen Koalition soll das Gesetz in spätestens drei Wochen verabschiedet werden und noch vor der Bundestagswahl in Kraft treten. Eine Zustimmung des Bundesrates ist nicht notwendig.

Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass der Zustand wieder herstellt wird, der in der Birthler-Behörde herrschte, bevor Helmut Kohl die Veröffentlichung seiner Stasi-Akten gerichtlich verhinderte: Unterlagen der DDR-Staatssicherheit sollen Wissenschaftlern und Journalisten zur Verfügung gestellt werden, wenn sie „Personen der Zeitgeschichte, Inhaber politischer Funktionen oder Amtsträger“ betreffen. Dabei dürfen aber keine „überwiegenden schutzwürdigen Interessen“ beeinträchtigt werden.

Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom März sind Akten über „Betroffene der Staatssicherheit“ nicht mehr zugänglich. Damit bleiben zur Zeit auch ein Teil der Akten über Stasi-Mitarbeiter verschlossen. Denn falls sie – wie das in der DDR üblich war – von ihrem eigenen Arbeitgeber überwacht wurden, gelten sie heute ebenfalls als „Betroffene“ im Sinne des bisher geltenden Gesetzes.

In der Novelle der Regierungsfraktionen ist vorgesehen, dass die Bundesbeauftragte für die Unterlagen der Staatssicherheit das letzte Wort darüber hat, welche Akten an Forscher und Journalisten herausgegeben werden. Die Betroffenen könnten zwar im Voraus eine Stellungnahme abgeben. Diese hätte aber keinen verbindlichen Charakter. Für Ludwig Stiegler, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, geht es dabei um zwei divergierende Aufträge des Grundgesetzes: Dem Recht des Einzelnen auf Schutz seiner Persönlichkeit stehe das öffentliche Interesse an der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit entgegen. „Ich denke aber, dass die Birthler-Behörde kompetent genug ist, um zwischen diesen Interessen abzuwägen“, zeigte sich Stiegler gegenüber der taz zuversichtlich.

Der Ansicht Stieglers widersprach Wolfgang Bosbach, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, der taz gegenüber scharf: „Die Novelle des Stasi-Unterlagen-Gesetzes, wie sie jetzt vorliegt, ist klar verfassungswidrig. Stasi-Opfer würden vom Rechtsstaat bloßgestellt.“ Das letzte Wort bei der Herausgabe von Akten müssen seiner Meinung nach die Betroffenen haben.

Bosbach sieht denn auch wenig Chancen, dass sich die Fraktionen noch in dieser Legislaturperiode auf einen gemeinsamen Entwurf einigen können. Die Zeit drängt aber, weil mit dem jetzigen Gesetz ab 1. Januar 2003 Betroffene ihre Akten von der Behörde vernichten lassen können. Die vorgesehene Streichung dieser Passage im Gesetzesentwurf ist unbestritten. Deshalb will Stiegler von der SPD-Fraktion das Gesetz notfalls auch ohne die CDU beschließen. Die vorliegende fünfte Novelle des Stasi-Unterlagen-Gesetzes wäre damit die erste, die nicht mit einer interfraktionellen Mehrheit verabschiedet würde. PHILIPP MÄDER