piwik no script img

Betrogener Sieger

FDP-Chef Guido Westerwelle setzt sich scheinbar durch – und ist schon wieder der Dumme

aus Berlin CHRISTIAN FÜLLER

Er ist schon fast wieder der Alte. Als gestern Mittag zwölf Uhr dreißig der silberne Dienst-BMW des FDP-Vorsitzenden zum Hintereingang der Bundespressekonferenz rollt, blickt noch ein ernster und desillusionierter Guido Westerwelle aus dem Wagen. Es ist niemand da, fast niemand. Die Journalisten und die Kamerameute lauern drinnen im Gebäude. Als aber die Tür des BMW aufgeht, tritt ein strahlender junger Mann aus dem Wagen. Alle Betrübnis der letzten Tage ist von Guido Westerwelle gewichen. Was folgen soll, ist der Auftritt eines Siegers.

Der Auftritt eines Siegers? Der sieht anders aus. Guido Westerwelle, der Urheber jenes Typus von Spaßpolitiker, der auf Knopfdruck Wärme ausstrahlen kann, fällt auch jetzt immer wieder in die Verlegenheit zurück, die ihm die Taktiererei des gelernten Tabubrechers Jürgen Möllemann in den vergangenen Tagen aufnötigte.

Ob er Opfer oder Verursacher der antisemitischen Verwirrung sei, will jemand von Westerwelle wissen, der allzu schnell mit herben Angriffen auf die politischen Gegner vom Hin und Her in der FDP ablenken will. „So einfach ist das nicht“, antwortet Westerwelle ausweichend. Und schildert, wie nahe ihm persönliche Gespräche gegangen seien. Darin hatten Mitglieder der jüdischen Gemeinde dem vermeintlichen Spaßpolitiker anvertraut, wie sehr sie durch die Attacken Möllemanns verletzt seien. Möllemann hatte Michel Friedman, dem Vizevorsitzenden des Zentralrats der Juden, eine „untolerante und gehässige Art“ unterstellt.

Mit einem Ultimatum hatte Westerwelle dem Treiben Möllemanns ein Ende setzen wollen. Jetzt sieht es so aus, als hätte Westerwelle den Kampf gewonnen. Im Düsseldorfer Landtag entschuldigt sich beinahe zeitgleich der listige FDP-Fraktionschef bei den Juden. Und Jamal Karsli, der neue Spezi Möllemanns, war zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr Mitglied der FDP-Fraktion. Damit waren alle ausgesprochenen und unausgesprochenen Bedingungen Westerwelles erfüllt. So scheint es.

Aber noch während Westerwelle seinen vermeintlichen Sieg in Berlin präsentiert, wird deutlich, aus welchem Holz der Fallschirmspringer aus Münster geschnitzt ist. Jürgen Möllemann ist dem Ultimatum seines Parteichefs einfach ausgewichen.

Er hat Jamal Karsli nicht etwa aus der Fraktion hinausgeworfen. Karsli, die willfährige Schachfigur mit dem antisemitischen Vokabular, hat freiwillig den Rückzug angetreten. Und selbst die Entschuldigung Möllemanns im Düsseldorfer Landtag ist nicht mehr als ein Lippenbekenntnis: „Sollte ich die Empfindungen jüdischer Menschen verletzt haben“, so konditioniert Möllemann seinen Rückzieher, „möchte ich mich entschuldigen.“

Was später über die Nachrichtenticker geht, bestätigt alle Zweifel. Da nämlich nimmt Möllemann Michel Friedman ausdrücklich von seiner Entschuldigung wieder aus. Und legt sogar noch nach, indem er den „unerträglichen Habitus“ Friedmans geißelt.

Doch Guido Westerwelle durchschaut die Strategie seines Stellvertreters zu diesem Zeitpunkt nicht. Vielleicht spielt er sie auch mit. Wie eine launige Diva, die gestern noch Liebesentzug androhte, um heute die Arme auszubreiten, rühmt der Parteichef die „vertrauensvolle Zusammenarbeit“ mit Möllemann. Westerwelle präsentiert eine sehr eigenwillige Klimax- und Spaßkurve: Sie führt von einem Parteitagsbeschluss, einem Präsidiumsbeschluss, einem Vorstandsbeschluss und einem Ultimatum gegen Möllemann direkt zu wiedergewonnenem Vertrauen zu ebendiesem Mann. „Ich nehme jedes Mitglied der FDP-Führung in Schutz“, sagt Westerwelle. „Möllemann bleibt mein Stellvertreter.“ Ein Satz von gestern.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen