: „Kunst und Politik verbinden“
Interview CHRISTIANE MÜLLER-LOBECK
taz: Park Fiction gilt in Hamburg als Vorzeigeprojekt für Kunst im öffentlichen Raum. Mit der Einladung zur documenta gibt es jetzt den Ritterschlag. Dabei stand am Anfang eine Stadtteilinitiative, die sich auf St. Pauli für eine Grünfläche am Hafenrand einsetzte. Wie kam die Kunst zur politischen Initiative?
Sabine Stövesand: Das Projekt ist aus der verlorenen Auseinandersetzung um den Bauwagenplatz nahe der Hafenstraße entstanden. Anschließend haben sich viele Leute gefragt: Was gibt es denn noch am Hafenrand, wo wir etwas gestalten können? Wir haben in Zusammenarbeit mit Architekten ein erstes Modell für einen Park entworfen und um einen Termin beim Stadtentwicklungssenator nachgesucht. Wenn man mit konkreten Vorschlägen kommt, sind die sofort überrumpelt. Sie mussten zugeben, dass sie St. Pauli, den ärmsten Stadtteil Hamburgs, unter stadtentwicklungspolitschen Gesichtspunkten viel zu stark vernachlässigt hatten.
Christoph Schäfer: Ich bin 1995 dazugekommen. Für einen Rave zugunsten des Parks, an der Stelle, wo er entstehen sollte, gab es Plakate mit dem Titel „Park Fiction auf St. Pauli – Beat Bomben auf Berlin“. Teile des Areals trugen Namen wie „Hafenstraßen-Hundetreppenpark“, „Schauermannspark“, „Bierdosenpark“. Der Humor gefiel mir. Ich hatte mich seit Ende der Achtzigerjahre mit den Situationisten und mit Urbanismus beschäftigt. Es gab ja schon in den Sechzigerjahren aus der Kunst heraus eine Auseinandersetzung damit, wie Städte anders zu gestalten sind.
Park Fiction, dachte ich, könnte solche Fäden wieder aufgreifen. Der Verdrängungsprozess unter der ärmeren Wohnbevölkerung, den üblicherweise der Zuzug von Kulturschaffenden in ein so genanntes heruntergekommenes Viertel auslöst, das alles war Anfang der Neunziger theoretisch aufgearbeitet. Deshalb gab es hier einen sehr bewussten Umgang damit und immer wieder Versuche, dem gegenzusteuern.
Und wie äußert sich über die Anbindung an kulturelle Szenen hinaus der Bezug zur Kunst bei Park Fiction?
Schäfer: Park Fiction erweitert die Autonomie der Kunst auf alle, die am Planungsprozess teilnehmen. In den Genuss, sich Gegenmodelle zum Bestehenden auszudenken und unabhängig von Zwängen umzusetzen, sollten alle kommen. Für die Planung sind die unterschiedlichen Arten von Wissen aller Beteiligten zusammengeflossen. Park Fiction hat kein taktisches Verhältnis zur Kunst. Wir sind überhaupt gegen die herkömmliche Trennung von Kunst und Politik.
Wie lief denn diese Ausweitung künstlerischer Autonomie auf die Anwohner in der Praxis?
Stövesand: Das war kein Partizipationsangebot von oben. Das Gelände wurde angeeignet und einfach benutzt. Ohne eine Erlaubnis von städtischen Stellen abzuwarten, haben wir einfach angefangen zu bauen.
Schäfer: Wir haben einen Planungscontainer aufgestellt, in dem die Leute ihre Vorstellungen präsentieren können, und wenn wir Hausbesuche im Viertel machen mit unserem mobilen Planungsbüro, dann fangen die Leute sofort an, Ideen zu entwickeln. Überhaupt wurde der Planungsprozess als Spiel organisiert. Wir haben Infotainment-Veranstaltungen gemacht zu Parks und Politik, Parks und ihren ideologischen Hintergründen, eine Gartenbibliothek aufgebaut und Ausflüge organisiert.
Diesen Sommer ist offizieller Baubeginn. Wie soll der Park jetzt aussehen?
Stövesand: Grundlage sind verschiedene Parkinseln, wir nennen sie Zimmer. Die Leute haben sich sehr unterschiedliche Sachen gewünscht. Das Areal soll also unterschiedlichen Nutzungen zugänglich sein.
Es wird Palmeninseln geben, eine theaterartige Situation, eine wie ein fliegender Teppich gewellte Sonnenwiese, das Open-Air-Solarium, Grill-Inseln, den Seeräuberinnen-Brunnen, das Erdbeerhaus, den Teegarten, ein Hecken-und-Rosen-Labyrinth und den Boulevard der von der Straße verdrängten Tätigkeiten mit dem „Leuchtenden Pfad“, den wir auf Geheiß der Bezirksgrünausschüsse umbenennen mussten. Er heißt jetzt „Der Goldene Mittelweg“.
Vor allem denken wir uns den Park als nichtkommerzielle und nichtreglementierte Zone. Es soll weder ein kommerzielles Café darin geben noch die Ausgrenzung von Obdachlosen oder von Junkies. Das ging dem Rot-Grün-Senat ja schon zu weit, und die Bezirke Altona und Hamburg-Mitte haben dem Projekt alle möglichen Auflagen gemacht, sie wollten die Lärmbelästigung reduzieren und das Ganze übersichtlicher, kontrollierbarer halten.
Noch viel weniger gewünscht ist der Park sicherlich von der Koalition Schwarz-Schill, die vorigen Herbst in Hamburg gewählt wurde. Warum wird Park Fiction jetzt nicht der Hahn zugedreht?
Schäfer: Der Bebauungsplan für das Viertel, der 1994 eigentlich verabschiedet war, ist aufgrund von Park Fiction in relativ großem Ausmaß geändert worden – ein ganz großer Erfolg, denn das ist erstmals in Hamburg von einer Bürgerinitiative erreicht worden.
Stövesand: Im Bezirk wurde der neue Bebauungsplan seinerzeit auch mit Stimmen der CDU verabschiedet, es war ein Allparteienkonsens.
Schäfer: Und die Welt wird natürlich sehr genau hingucken, wie die neue Regierung mit diesem Projekt umgehen wird – ob die Integrität des Projekts, die Idee von Park Fiction, auch in der Realisierung erkennbar bleibt. Der Stadt Hamburg ist durch die Verzögerungen bereits die Möglichkeit entgangen, eine documenta-Außenstelle in der Stadt zu haben. Jetzt muss man nach Kassel fahren, um zu sehen, was Hamburg diesen Sommer entgangen ist.
Dass Park Fiction als Kunstprojekt ernst genommen wird und einen Ruf weit über die Stadt hinaus hat, verdankt es ja einer speziellen Situation von Kunst im öffentlichen Raum in Hamburg …
Schäfer: Ja, das fing 1997 mit „Weitergehen“ an, einer Projektreihe der damaligen Kulturbehörde. Dort ist es tatsächlich gelungen, Kunst im öffentlichen Raum nicht zu purer Stadtverschönerung verkommen zu lassen oder in den Dienst einer Imagekampagne zur Unterstützung der Standortpolitik zu stellen. Stattdessen wurde ein Experimentierfeld für Künstler zur Verfügung gestellt.
Wie werden Sie das Projekt auf der documenta präsentieren?
Schäfer: Zentral zeigen wir Margit Czenkis Filmcollage „Park Fiction – die Wünsche werden die Wohnung verlassen und auf die Straße gehen“. Außerdem gibt es entlang von fünf Hauptarbeitsbegriffen – „Interventionistische AnrainerInnen“, „Infotainment“, „Tools“, „Wunschproduktion“ und „In Bed With Bureaucracy“ – die Fülle der Wunschproduktion anzusehen, Videos über die Verwendung des Geländes, aber auch die Angriffe von Stadt und Investoren auf das Projekt.
Was lässt sich denn über die Geschichte und den spezifischen lokalen Kontext des Projekts hinaus auf der documenta vermitteln?
Schäfer: Die Neudefinition des öffentlichen Raums ist durchaus übertragbar. In Kassel sind wir eingebettet in einen Themenschwerpunkt zu Urbanismus. Außerdem werden dieses Jahr eine Menge künstlerischer Gruppenarbeiten ausgestellt: Raqs aus Neu-Dehli zum Beispiel beschäftigen sich mit Landbesetzungen in der Stadt. Da gibt es Anknüpfungspunkte, auch wenn das erst ein Anfang ist.
Stövesand: Interventionistische Kunst gibt es ja überall auf der Welt. Park Fiction ist ein Projekt an der Schnittstelle von Politik, Kunst und Gesellschaftlichkeit. Am Schluss könnte ein neues Verständnis herauskommen dafür, dass politische oder interventionistische Kunst sich aus dem gleichberechtigten Austausch von Wissen, Erfahrungen und Aktivitäten ganz unterschiedlicher Leute zusammensetzt. Dafür ist Park Fiction exemplarisch.
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