: „Ich bin ein Typ wie Schwarzenbeck“
Weltmeisterschaft-Gucken mit einem echten Experten: SPD-Chef Peter Strieder erklärt, warum Berlin in der Champions League spielt, seine Partei noch hart trainieren muss und die deutsche Nationalmannschaft „überlegen“ gegen Irland gewinnt
von ROBIN ALEXANDER und STEFAN ALBERTI
5. Juni 2002, 13.30 Uhr, Deutschland gegen Irland. Ganz Berlin guckt Fußball. Auf unsere Bitte läuft auch bei Peter Strieder der Fernseher. Ein Gespräch über Berlins Reputation in Europa, über den rot-roten Senat, den Ärger in der SPD – und über Fußball.
1. Minute. Anpfiff.
taz: Haben Sie schon Karten für das WM-Endspiel im Olympiastadion 2006?
Peter Strieder: Natürlich nicht. Noch ist das Endspiel ja auch noch nicht offiziell an Berlin vergeben. Wir müssen uns noch anstrengen, damit wir es tatsächlich bekommen.
5. Minute. Hartes irische Tackling.
Die Opposition wirft Ihnen vor, aus Fußballbegeisterung zum Eröffnungsspiel nach Seoul geflogen zu sein – auf Kosten der Steuerzahler.
In Seoul war ein Kongress von Metropolis, einer Organisation von Hauptstädten und Millionenstädten. Es gibt übrigens einen harten Wettbewerb darin, wer den Metropolis-Kongress ausrichten darf. Seoul hat den Zuschlag auch wegen der WM bekommen.
Wäre Berlin eine Fußballmannschaft – hätte es sich für eine WM der Metropolen überhaupt qualifiziert?
Aber sicher: Unser Veränderungsprozess und die Idee der europäischen Stadt interessieren sogar die Menschen in Asien. Wir konnten in Seoul sogar einen Sieg erringen: Der nächste Metropolis-Kongress wird im Jahre 2005 in Berlin stattfinden.
In Deutschland herrscht die Wahrnehmung vor, Berlin stünde sogar auf nationaler Ebene auf einem Abstiegsplatz.
Nach einer Untersuchung des Londoner Beratungsunternehmens Haeley&Baker spielen wir sogar in der Champions League. Berlin ist in diesem Jahr in die Liste der zehn für Investment interessantesten Städte Europas aufgenommen worden.
18 Minute: 1:0 für Deutschland, Klose.
Der rot-rote Senat jedenfalls hat eine schlechte Presse, wie die Nationalmannschaft zuletzt unter Berti Vogts.
Im Moment laufen sich alle für die deutsche Meisterschaft am 22. September warm. Und da werden einige Teilnehmer gezielt runtergeschrieben. Es gibt eine Kommunikationsstrategie gegen den rot-roten Senat. Wir könnten hier ein Klose-Tor nach dem anderen schießen und würden trotzdem kritisiert.
Also doch kein Senat der Rumpelfüßler?
Na ja, Die Taktik, wie wir unsere Tore erzielen, war am Anfang noch nicht perfekt. Aber wir hatten eine neue Mannschaft und mussten uns erst einspielen. Jetzt kommen wir besser ins Spiel.
Halbzeitbilanz: Durchwachsene Leistung der deutschen Mannschaft.
Gehen wir in die Einzelkritik. Welche Position spielt Klaus Wowereit?
Spielführer, Spielmacher. Wowereit ist der mit der Nummer 10.
Als Ideengeber ist Sportskamerad Wowereit doch ein Totalausfall: Das alte Berliner Hin-und-her-Geschiebe dominiert, der fantasievolle öffnende Pass fehlt.
Das stimmt nicht: Probleme werden jetzt angegangen und nicht mehr verschwiegen. Das ist ein radikaler Wechsel in der Spielanlage gegenüber dem alten Diepgen-Team. Diepgen war immer nur auf die Sicherung des eigenen Tores bedacht. Da galt doch jedes 0:0 schon als Erfolg. Mit Wowereit ist das anders: Der spielt auf Sieg, also offensiv – und da bekommt man halt auch schon mal ein Tor rein.
Ihre ehemalige Mitspielerin Adrienne Goehler sagt, Spielführer Wowereit habe den Mentalitätswechsel vergeigt. Hat die Frau keine Ahnung von Fußball?
Adrienne Goehler ist leider im falschen Verein. Die Grünen sind abgestiegen, und daran leidet Goehler. Schade, dass Goehler nicht in unserer Mannschaft spielt.
Wo wir gerade über Künstler reden: Vom Linksaußen Gregor Gysi ist zurzeit wenig zu sehen.
Gysi sucht noch seine Position auf dem Spielfeld. Er lebt von den Pässen unseres Spielmachers Klaus Wowereit. Das muss Gysi akzeptieren: Fußball ist ein Mannschaftssport.
Einer steht verbal dauernd im Abseits: Finanzsenator Thilo Sarrazin.
Nein. Thilo Sarrazin ist unser Olli Kahn. Man braucht jemanden, der einem ständig unbequeme Wahrheiten sagt.
Wo spielen Sie eigentlich, Herr Strieder?
Überall, wo es brennt.
Wowereits Wasserträger?
Ich bin ein Typ wie Katsche Schwarzenbeck. Ich gehe hart zur Sache, bin aber ab und an auch gut für ein Tor.
Schwarzenbeck kennen nur Insider. Beckenbauer ist der Kaiser. Haben Sie eine undankbare Rolle?
Kenner wissen: Ohne Schwarzenbeck wäre Beckenbauer nie Kaiser geworden.
Gilt im Senat Herbergers Weisheit „Elf Freunde müsst ihr sein“?
Auch Politik braucht Teamgeist. Unser Spiel dauert nicht neunzig Minuten, sondern fünf Jahre. Dabei muss man sich die Kraft einteilen, um am Ende nicht einzubrechen.
Sie haben doch sogar bei Standardsituationen Schwächen. Im Abgeordnetenhaus haben Sie beim letzten Mal trotz Regierungsmehrheit eine Abstimmung verloren.
Ein technisches Problem: Die Abstimmungsmaschine hat nicht richtig funktioniert. Sonst hätte unsere Mehrheit gestanden.
56. Minute: Kahn holt einen eigentlich unhaltbaren Schuss aus dem Winkel.
Aber im Gegenzug versiebt Janker eine tolle Chance.
Ist der Doppelhaushalt, der jetzt eingebracht wird, nicht auch eine vergebene Tormöglichkeit?
Wir wollen die Berliner Finanzen in Ordnung bringen. In diesem Sinne ist der Doppelhaushalt erst der Anfang eines Sturmlaufes. Wäre er das Endergebnis, könnten wir in der Tat nicht zufrieden sein.
Beim Bush-Besuch hat der Senat ein Heimspiel verloren.
Auch hier gilt: Die Figur, die unsere Mannschaft gemacht hat, war viel besser als die Kritiken, die sie bekommen hat. Unser Stopper – Innensenator Ehrhart Körting – hat erfolgreich dafür gesorgt, dass es im eigenen Strafraum ruhig blieb. Dieses Spiel haben wir gewonnen.
In Ihrer Freizeit trainieren Sie ja noch die Berliner SPD. Zum ersten Mal seit elf Jahren wurde 2001 das Derby gegen die CDU gewonnen, aber Ihre Sympathiewerte bleiben selbst bei SPD-Anhängern im Keller. Warum liebt Ihre Mannschaft Sie nicht?
Trainer, die hart sind, werden selten geliebt. Es müssen nicht alle im Team den Trainer nett finden. Es kommt darauf an, Spiele zu gewinnen.
Erfolgreich, aber wegen seines schwierigen Charakters nicht geliebt. Sie sind gar nicht wie Schwarzenbeck. Sie sind der Stefan Effenberg der SPD!
Stefan Effenberg ist ein guter Fußballer, aber ichbezogen und arrogant, wie er ist, würde er nie in einer sozialdemokratischen Mannschaft aufgestellt werden. Ich bleibe bei Schwarzenbeck.
Sie wollen Ihre Mannschaft neu aufstellen: Erklären Sie uns Ihre Taktik in Sachen Parteireform.
Wir haben mit fünf Jahren Legislaturperiode eine sehr lange Saison vor uns, an deren Ende wir unsere Tabellenführung verteidigen müssen. Das werden wir nur schaffen, wenn die Mannschaft SPD zusammenrückt. Wir können nicht mehr öffentlich darüber diskutieren, wer aufgestellt wird und mit welcher Taktik wir spielen. Die Zuschauer interessiert nicht so sehr, wie unsere B-Mannschaften in den Bezirken spielen. Die Berliner SPD muss begreifen, dass sie eine Mannschaft unter dem Kapitän Wowereit ist – und keine Auswahlmannschaft aus zwölf Kreismannschaften.
Selbst der mächtige Franz Müntefering konnte so eine Parteireform in NRW erst in der Nachspielzeit durchsetzen.
Deshalb beginne ich jetzt: Die Mannschaft muss am Anfang hart trainieren, um am Ende der Saison fit zu sein. Für die SPD gilt das Gleiche wie für jedes Unternehmen oder auch für eine Fußballmannschaft: Mit einer Spielanlage von 1980 kann man bei der WM 2002 nicht bestehen. Wir möchten in Zukunft Möglichkeiten anbieten, sich zeitlich befristet und zu einem Thema zu engagieren: Deshalb soll es neben den Ortsvereinen auch Projektgruppen geben. Für diese neuen Strukturen brauchen wir Managementkapazitäten in der Parteizentrale.
70. Minute: Das deutsche Spiel verflacht immer mehr.
Wenn Sie nur den Erfolg wollen, warum mauern denn dann so viele in der SPD?
Es gibt eine gewisse Sorge, dass wir den Kontakt zu den Fans verlieren. Wir werden in der Zukunft nicht mehr mit vielen kleinen Fanshops in der Stadt präsent sein. Bisher arbeiten die Mitarbeiter in den Kreisgeschäftstellen völlig isoliert. Diese Menschen könnten eine ganz andere politische Kreativität entwickeln, würden sie im Team arbeiten. Wir müssen uns neu organisieren, denn wir haben keine unendlichen Ressourcen, aber als führende Senatspartei neue Aufgaben: Wir müssen in Zukunft unsere eigene Öffentlichkeit organisieren.
Gibt es zu wenig Medien in Berlin?
Nein, aber es gibt Medien, die unsere Informationen nicht transportieren. Das geht ja so weit, dass eine große Berliner Tageszeitung bewusst wahrheitswidrig behauptet, Wowereit mache Urlaub in Australien, obwohl es sich um eine Dienstreise handelt. Die SPD muss ihre Kampagnenfähigkeit so steigern, dass wir direkt ohne den Umweg über die Medien informieren können.
Jetzt haben wir die 80. Spielminute erreicht. Es steht 1:0. Wie geht das Spiel aus?
Deutschland ist überlegen und schießt noch das 2:0
In der 93.Minute fällt nach einem Leichtsinnsfehler von Ramelow das 1:1 durch Roy Keane.
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