: Nitrofenverdacht in Berlin
Ein Berliner Hof verfütterte Getreide aus der belasteten Halle in Malchin. Senatsverwaltung und brandenburgischer Staatssekretär machen widersprüchliche Angaben zum Inhalt der Lieferung
von STEFAN ALBERTI
Auch in einen Berliner Betrieb ist Getreide aus der mit dem Krebs erregenden Nitrofen belasteten Lagerhalle im mecklenburgischen Malchin gelangt. Nach Angaben der Senatsverwaltung für Gesundheit erhielt der Hof die Lieferung Ende April und verfütterte sie an Schweine und Hühner. Die Tiere sollen jedoch nicht verkauft worden sein. Tests sollten bis gestern klären, ob das Getreide tatsächlich belastet ist. Das Ergebnis lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor. Die Senatsverwaltung widersprach gegenüber der taz Aussagen, nach denen es sich bei der Lieferung um Speisegetreide handelte. Ein Experte der Berliner Verbraucherzentrale empfahl Zurückhaltung beim Biokauf.
Mittwoch letzter Woche habe der Getreidelieferant den Berliner Hof über den Nitrofenverdacht informiert, sagte die Sprecherin der Gesundheitsverwaltung, Roswitha Steinbrenner. Der Betrieb wandte sich nach ihren Angaben noch am gleichen Tag an das Lebensmittel- und Veterinäramt seines Stadtbezirks. Weder den Hof noch den Bezirk mochte Steinbrenner namentlich nennen – „der Betrieb ist doch ein Opfer“. Noch am Mittwoch soll das Amt Verfütterung und Verkauf des Malchin-Getreides verboten, Proben genommen und Tests eingeleitet haben.
Das Amt gab laut Steinbrenner diese Information nicht nach oben. Die Gesundheitsverwaltung des Senats soll erst bei einer Krisensitzung der Agrarstaatssekretäre am Sonntag davon erfahren haben. „Das Amt ist uns gegenüber nicht informationspflichtig“, sagte Steinbrenner.
Auch in Kenntnis des Nitrofenverdachts aber wäre ihre Behörde nicht mit der Nachricht an die Öffentlichkeit gegangen. „Eine Information ohne Nennung von Hersteller, Produktnamen und Verkäufer ist wenig nutzbringend und unverantwortlich“, sagte Steinbrenner. Diese Daten aber dürfe die Senatsverwaltung nicht nennen – „ohne Verbraucherinformationsgesetz haben wir keine Handhabe“.
Ein solches Gesetz, das jüngst im Bundesrat an der CDU scheiterte, hält die Verbraucherzentrale Berlin e. V. angesichts des Nitrofenskandals für „wichtiger denn je“. Ihr Ernährungsreferent Christoph Römer rät, derzeit nur dann Biogeflügel zu kaufen, wenn der Betrieb hofeigenes Futter verwende. „Ansonsten sollte man Zurückhaltung üben, solange nicht alles aufgeklärt ist.“
Der brandenburgische Agrarstaatssekretär Dietmar Schulze hatte gestern morgen im InfoRadio davon gesprochen, dass eine Lieferung Speisegetreide nach Berlin gelangt sei. Weitere Angaben mochte Ministeriumssprecher Jens-Uwe Schade unter Verweis auf die Berliner Zuständigkeit nicht machen. Steinbrenner konnte sich die Aussage des Staatssekretärs nur mit einem Missgeschick erklären. Schulze habe sich auf die gleiche Liste bezogen, die seit gestern auch in der Senatsverwaltung vorliegt. Dort aber taucht laut Steinbrenner nur ein Berliner Betrieb auf, der Futtergetreide, konkret Futtergerste, aus Malchin erhalten hat. Auch der Berliner Bäckerinnung war gestern keine Speisegetreidelieferung bekannt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen