: Der Aufstand der Oberflächlichen
Wie berichten deutsche Zeitungen über Rechtsextremismus? Welche Informationen erreichen das Publikum? Wissenschaftler der Universität Bochum haben fünf Printmedien unter die Lupe genommen – und fast alle verharmlosen sie das Problem
von SEBASTIAN SEDLMAYER
Ein Mord mit vermutlich rechtsextremem Motiv, eine Welle der politischen und medialen Entrüstung, ein „Aufstand der Anständigen“. Danach wieder Schweigen. Die Hintergründe rechtsextremer Straftaten, Verflechtung neonazistischer Organisationen mit bürgerlichen Parteien und rechte Ressentiments in der politischen „Mitte“ bleiben im Dunkeln.
So scheinen deutsche Zeitungen mit Rechtsextremismus umzugehen. Vier junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Ruhr-Uni Bochum haben fünf Tageszeitungen von Sommer 2000 bis Anfang 2001 nach Beiträgen zum Thema Rechtsextremismus durchforstet. Rund 900 Artikel aus sechs Monaten Berichterstattung werteten Thomas Pfeiffer, Kerstin Jansen, Tim Stegmann und Sandra Tepper aus. Die Ergebnisse sind veröffentlicht in dem Beitrag „Vom Aufstand der anständigen Presse“ im Sammelband „Themen der Rechten – Themen der Mitte“, herausgegeben vom Rechtsextremismusforscher Christoph Butterwegge.
Untersucht wurden Bild, Aachener Zeitung (AZ), Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), Süddeutsche Zeitung (SZ) und taz. Die Fragen: „Wie viel substanzielle Information erreichte das Publikum?“ und „Haben die Medien ihren Aufklärungsauftrag nachgeholt“, den die meisten von ihnen in Bezug auf Rechtsextremismus zehn Jahre lang ignoriert hatten?
Die Antworten: Mit wenigen Ausnahmen kommen die Zeitung ihrer Verpflichtung zur Aufklärung nicht nach. Insgesamt biete sich ein „verharmlosendes Bild vom Rechtsextremismus“, so Autor Thomas Pfeiffer. Die Geschichten seien häufig schlecht recherchiert, Ereignisse würden zum Teil falsch wiedergegeben und Hintergrundinformationen müssten die Leser mit der Lupe suchen. Im Zentrum des Interesse stünden Polizei, Justiz und Gesetzgeber. Einzig die taz berichte ausgewogen über staatliche und nichtstaatliche Gegenaktivitäten. In den meisten Zeitungsbeiträgen würde Rechtsextremismus somit tendenziell als kriminelle Handlung eingestuft und nicht – wie die Autoren fordern – zivilgesellschaftliche Auseinandersetzungen dokumentiert und die strukturellen und ideellen Verflechtungen mit der politischen „Mitte“ aufgezeigt. Die Komplexität des Rechtsextremismus werde nicht erfasst. Die Zeitungen reagierten auf Ereignisse und ließen sich oft vom Tenor der etablierten Politik oder anderer Medien leiten.
So habe die Bild-Zeitung am 23. November 2000 den „Fall Joseph“ in Sebnitz auf den Titel gesetzt und alle anderen Publikationen seien unmittelbar darauf in die Geschichte eingestiegen. Die NPD-Verbots-Debatte habe Bayerns Innenminister Günther Beckstein angestoßen, die Düsseldorfer Brandanschläge vom Juli und Oktober 2000 seien weitere Anlässe gewesen, um einige Wochen lang intensiv, aber größtenteils leider nur oberflächlich über Rechtsextremismus zu berichten.
Anhand der drei genannten Beispiele zeigen die Autoren, dass besonders Bild und AZ ereignisbezogen berichten. Immerhin rund 35 Prozent der Artikel in taz, SZ und FAZ behandelten rechtsextreme Aktivitäten, die keine Straftaten sind. Rund zehn Prozent der Artikel zum Thema in diesen drei Zeitungen beschäftigten sich mit latentem Rechtsextremismus. Allerdings sei auch dort kaum über Verbindungen „reputierlicher Kreise“ mit Rechtsextremen zu lesen. Die Autoren vermuten hinter dem Defizit nicht etwa bösen Willen verschworener Redaktionen, sondern machen in ihrem Fazit „Arbeitsbedingungen, die von Konkurrenz- und Zeitdruck geprägt sind“, für die Versäumnisse verantwortlich.
Christoph Butterwegge u. a.: „Themen der Rechten – Themen der Mitte. Zuwanderung, demografischer Wandel und Nationalbewusstsein“, Leske und Budrich Verlag, 288 Seiten, 18 Euro
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