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Posen, Tattoos, Schmuck, Kleidung, Haarschnitt, Individuum und Masse, der Zeichenwandel in der Jugendkultur und seine Bilder: Hamburgs Museum für Arbeit zeigt Fotografien von Andreas Herzau

von PETRA SCHELLEN

Diese Schau ist eine große Übung. Ein Testlauf in Sachen kulturelle Kompetenz, der Gewissensfragen stellt: Hast du das Zeichen erkannt, fragt sie den Betrachter. Weißt du, was dieses Tattoo inzwischen bedeutet? Kannst du mithalten in dem sich beschleunigenden Deutungsspiel, in dem die Verknüpfung von Form und Inhalt doch ständig variiert?

Mit gnadenloser Schärfe betrachtet der Fotograf Andreas Herzau in der Ausstellung „Me, Myself + I“, die derzeit im Rahmen der 2. Triennale der Photographie im Hamburger Museum der Arbeit zu sehen ist, den Zeichenwandel in der Jugendkultur. Posen, Tattoos, Kleidung und Haarschnitt, Individuum und Masse stehen im Zentrum der Schau, deren Anordnung mit Reportagefotografie – Herzaus ursprünglichem Metier – wenig zu tun hat.

Seit 1990 widmet sich Herzau, zuvor Redakteur bei der Hamburger Rundschau, der Reportage- und Essayfotografie und arbeitete dabei für internationale und nationale Medien, übrigens auch für die taz. Auszeichnungen ereilten ihn in Serie: Zweimal bekam er den Euro Press Photo Award – 1997 für eine Bildreportage aus einem Abschiebegefängnis, 2002 für Fotos aus New York nach dem 11. September. Politische Beiträge lieferte er zu den Ausstellungen „Flucht – 50 Millionen Menschen ohne Heimat“ 1997 in Hamburg und „100 Bilder für die Pressefreiheit“ 1998 in Frankfurt. Zudem – und die Aufzählung bleibt unvollständig – erhielt er 1999 den Hansel-Mieth-Preis für eine Reportage über den Suizid eines indischen Flüchtlings in Deutschland. Politische, essayistische Fotos also, die nach Kontext verlangen und die, isoliert gestellt, zum Effekt heischenden Signet verkommen könnten.

Ein Risiko, das Herzau in der Hamburger Ausstellung abfängt, indem er jedem Kontext abschwört: Fotos von Demos, Paraden und Messen aus den vergangenen zehn Jahren hat Herzau neu kombiniert, kommentarlos gemischt und es dem Betrachter überlassen, die Geschichten dazu zu erfinden. Bilder von Anti-Castor- und Autonomen-Demos stehen am Anfang der Schau, Fotos von Sexmesse und Naziaufmarsch folgen. Und gerade durch diese Vereinzelung der Bilder geht die Präsentation über vordergründig Politisches weit hinaus: Auf Details der Inszenierung, auf die Verflechtung des Einzelnen mit der Gruppe hat Herzau den Blick gerichtet: frontal-kompromisslos stehen die Castor-Gegner da; spiralförmig und weniger uniform in Pose und Kleidung die Technofans.

Doch darin erschöpft sich die Bestandsaufnahme nicht: Herzau ist dem Blick der Akteure gefolgt – und ihrem Bemühen, sich in die Gruppe einzugliedern. Durch schnelle Spots nach links und rechts müssen sich die Teilnehmer der Autonomendemo vergewissern, dass Kapuze und Protestblick stimmen. Ein paar Meter weiter guckt eine perfekt Gestylte, aufgenommen 1997 auf der Hamburger Sexmesse, stolz in die Menge – zufrieden, sich per Kostümierung legitimiert zu haben.

Bemühen spiegelt sich in diesen Bildern, und doch ist Herzau weit entfernt davon, zu werten oder zynisch zu werden. Er nimmt bloß wahr, wo die Grenzen der Kostümierung sind und wo Individuelles aufblitzt: in der Sucht nach Akzeptanz, die über das Wohlgefühl im „gemachten“ Körper entscheidet. In Entindividualisierung mündet so, was ursprünglich als Erschaffung eines Original-Labels namens Ich gedacht war.

Doch an genau diesem Punkt kippt Herzau durch großformatige Detailaufnahmen die anonymisierende Selbststilisierung ins Individuelle zurück: Da sieht man plötzlich die Pickel am Hinterkopf des perfekt Gepiercten. Und der Hintern, auf den einst eine nackte Frau tätowiert wurde, ist so verschrumpelt, dass einen Mitleid befällt. Obsolet ist in diesem Fall das Zeichen geworden, das mehr festlegte als befreite. Oder bedeutet es für den Träger inzwischen etwas anderes? Ist es im Begriff, mit den hervortretenden Äderchen zu verschmelzen und eine neue Kartografie der Haut zu bilden?

Die Frage nach der Beziehung zwischen Zeichen und Träger wirft Herzau auch auf anderen Fotos auf: „No hope no Fear“ lautet ein Tattoo auf dem Rücken eines mit Schlabberjeans bekleideten Jungen. Ist der Spruch Motto, Hoffnung oder Etikett? Und wer kann das Zeichen in diesem Kontext deuten? Es sind Überlegungen, die Teil des Gesellschaftsspiels sind, das Herzau mit seiner Schau anregt: Deutet man Situationen und ihre Bestandteile noch korrekt? Ist ohne Detailinformation noch zu entscheiden, wofür die Glatze steht? Taugt sie noch als klar definiertes Label? Soll sie das überhaupt?

Und so endet man vor Phänomenen, die für einen grundlegenden Wandel stehen: die ständige Umdeutung von Zeichen, die Aneignung von Methoden und Posen durch wechselnde Szenen, in deren Resultat niemand mehr entscheiden kann, was Original ist, was Zitat und Ironie.

Bis 11. August Museum der Arbeit, Hamburg, Katalog (Edition Braus) 39,90 €

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