Feuchte Close-ups

Mit „Untreu“ hat Adrian Lyne Claude Chabrol verraten

Lynes Blick durchs Schlüsselloch will es wissen: Wer hat Schuld?

Nie sollte man vergessen, dass Adrian Lyne für die schlimmsten Filmtitel der letzten zwanzig Jahre verantwortlich ist. „Eine verhängnisvolle Affäre“ und „Ein unmoralisches Angebot“ waren der Anfang. Danach musste jeder Film so heißen. Eiskalte Leidenschaft eroberte die Leinwände, so kalt wie die Achtziger, kalt wie der Eiswürfel auf Kim Basingers bebendem Körper in „9 [1]/2 Wochen“. Denn darum geht es ja bei Lyne: Das Kalte muss aufs Heiße, also der Yuppie auf die Frau, damit die Erotik prickelt und knistert wie von selbst. Niemand wusste besser, wie diese Erotik zugleich geschmackvoll und provokativ zu inszenieren sei. Anführungszeichen bitte selbst setzen.

Neulich aber muss sich der britische Sexagent in Diensten Hollywoods etwa Folgendes gedacht haben: „Mensch, ich bin doch so was wie der letzte Erwachsenenfilmer. Habe immer wieder dem verlogenen Bürgertum die Maske vom Gesicht gerissen. Verstehe die Frauen und kann das mit einer ganz eigenen Handschrift auch zum Ausdruck bringen. Ich bin ein echter Auteur. Wie dieser Franzose. Wie Claude Chabrol!“ Und darum hat er nun Chabrols Klassiker „Die untreue Frau“ neu verfilmt. Jene bittere Komödie um einen kleinen Bourgeois, der hinter die Affäre seiner frustrierten Ehefrau kommt, den Liebhaber im Affekt erschlägt und danach weitermacht wie bisher.

Lyne macht dasselbe mit Chabrol. Aus einer ziemlich kühlen Geschichte wird das ganz heiße Ding. Das einzig Französische in „Untreu“ ist der Liebhaber. Fucking shit! Merde! Der prächtig fluchende Bohemien Paul (Olivier Martinez) ist genau der teuflische Verführer, vor dem ein Langweiler wie Edward (Richard Gere) Angst haben muss. Ein legerer Beau mit leuchtend blauem Schal, wie einer Gauloises-Reklame entstiegen: „Liberté, toujours!“ Mal zärtlich, mal aggressiv macht er sich über Edwards Frau Connie (Diane Lane) her, die gar nicht weiß, wie ihr geschieht. Leider ist sie nicht die Einzige. Als sie den Fremden durchschaut hat, ist es zu spät.

Nun könnte man sagen, für ein paar feuchte Close-ups auf Nacken und Schenkel habe Lyne eben die Perspektive umgekehrt. Aber es geht um mehr. Lynes Schlüssellochblick gilt der individuellen Schuldfrage, die Franzosen wie Chabrol und Paul noch nie interessiert hat. Und ausgerechnet einer bleibt davon ausgenommen: Während sich seine Frau durch die Laken wühlt, macht Edward höchstens mal ein bedröppeltes Gesicht. Das ist eine Paraderolle für Richard Gere. Bis er zuschlägt, hat man eigentlich nur gesehen, dass die hervorragende Diane Lane schlechtes Gewissen und Leidenschaft gleichermaßen verkörpern kann. Warum beide nicht anders können, bleibt Lynes brennendes Geheimnis. Auch ein schöner Titel.

PHILIPP BÜHLER

„Untreu“. Regie: Adrian Lyne. Mit Richard Gere, Diane Lane, Olivier Martinez, Erik Per Sullivan u. a. USA 2002, 124 Min.