: US-Armee unter Verdacht
In Afghanistan soll es Massenerschießungen von gefangenen Taliban gegeben haben. Das behauptet ein bisher unveröffentlichter Dokumentarfilm. Auch US-Soldaten sollen beteiligt gewesen sein
BERLIN taz ■ Der irische Dokumentarfilmer Jamie Doran behauptet, im November vorigen Jahres habe es in der Nähe der nordafghanischen Stadt Masar-iScharif ein Massaker an mehreren tausend gefangenen Taliban-Kämpfern gegeben. An den Massenerschießungen sollen auch Soldaten der US-amerikanischen Armee beteiligt gewesen sein. In Dorans Dokumentarfilm „Massacre at Mazar“, der gestern in Berlin von der PDS-Bundestagsfraktion vor Journalisten gezeigt wurde, behaupten mehrere Augenzeugen, dass ein solches Massaker stattgefunden habe. Der Dokumentarfilmer verfügt nach eigenen Angaben über die Namen der Augenzeugen, die bereit seien, vor einem internationalen Gericht auszusagen.
Andrew McEntee, ein namhafter britischer Völkerrechtsanwalt, der zusammen mit Doran bei der Präsentation des Films in Berlin anwesend war, hat das gesamte Bildmaterial gesehen und alle Zeugenaussagen gelesen. „Dem Anschein nach handelt es sich hier um Beweise für Kriegsverbrechen“, so McEntee. „Solche Verbrechen verstoßen nicht nur gegen internationales, sondern auch gegen amerikanisches Recht.“ Der Anwalt, der Filmemacher sowie die PDS-Bundestagsfraktion fordern eine Untersuchung des Massakers durch eine internationale Kommission.
Die Massenerschießungen sollen sich im November vorigen Jahres ereignet haben. Die Truppen der afghanischen Nordallianz haben damals nach dem Fall der Stadt Kundus mehrere tausend Taliban-Kämpfer gefangen genommen. Die meisten von ihnen wurden in dem Fort Kalai Dschangi festgehalten, bevor sie in großen Containern ins Gefängnis nach Scheberghan gefahren wurden. Von den insgesamt 8.000 Gefangenen, so der Vorwurf in dem Film, seien auf dem Transport „mehr als 3.000 verschwunden“.
In dem Film berichtet ein afghanischer Anti-Taliban-Kämpfer, dass er von seinem Kommandeur aufgefordert worden sei, während des Transports Löcher in die Container zu schießen, damit die Gefangenen Luft zum Atmen hätten. „In jedem Container wurden 150 bis 160 Gefangene getötet“, so der Kämpfer. Nach der Ankunft im Gefängnis in Scheberghan seien die Toten auf Befehl amerikanischer Soldaten in der Wüste bei Dascht-i Leili verscharrt worden. In dem Film sind keine Bilder von dem Massaker zu sehen. Aufnahmen aus der Wüste zeigen menschliche Überreste, die im aufgehäuften Sand liegen. Zu sehen sind Knochen und zerrissene Kleider.
Die Aussagen über die Massenerschießungen werden in dem Film von drei weiteren afghanischen Kämpfern unterstützt: von einem Kommandeur sowie von zwei Männern, die gezwungen worden sein sollen, die Container mit den Gefangenen zu fahren. Obwohl die Kämpfer, die die Taliban erschossen haben sollen, unter afghanischem Kommando gestanden hätten, so ein Augenzeuge in dem Film, hätten amerikanische Kommandeure alles unter ihrer Kontrolle gehabt. Andere Zeugen berichten, dass Amerikaner an Folterungen von Taliban beteiligt gewesen seien. JENS KÖNIG
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