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Schleierfrauen ins Parlament

aus Doha JULIA GERLACH

Jihan al-Meer bestellt Karottensaft: „Der ist gut für die Augen und schützt vor Krebs“, sagt sie. „Wegen der Radikale, die darin sind … Na ja, ich bin halt in erster Linie Chemikerin“, fügt sie dann entschuldigend hinzu. Wir treffen uns in der Familienabteilung eines Cafés in Doha. Hierher dürfen Männer nur in Begleitung von Frauen. An diesem Vormittag sitzen hier nur Grüppchen von Freundinnen, plaudern und trinken Milchshakes. Jihan al-Meer trägt einen schwarzen Mantel aus leichtem Stoff, der ihren Körper bis zu den Zehen umhüllt. Unten schauen hochhackige Sandalen heraus. Um den Kopf geschlungen trägt sie ein schwarzes Tuch. Sie sieht nicht wie eine Frauenaktivistin aus – jedenfalls nach westlichen Maßstäben.

Jihan al-Meer lacht. Sie ist 37 und Professorin für Biochemie an der Universität von Katar. „Ich werde wohl für die Parlamentswahlen im nächsten Jahr kandidieren und hoffe doch stark, dass ich nicht die einzige Frau im Parlament sein werde“, sagt sie. Deshalb organisiert sie gemeinsam mit den anderen Frauen des Komitees für Familienangelegenheiten Trainingskurse für ihre Geschlechtsgenossinnen: „Es ist ja für uns Golffrauen nicht selbstverständlich, dass wir öffentlich auftreten. Noch weniger sind wir es gewohnt, vor einem Publikum einem Mann zu widersprechen. Also müssen wir es üben“, sagt sie.

Politik ohne Gesicht

Der Konferenzraum ist in gedimmtes Kronleuchterlicht getaucht. Die Wände sind mit Seide bespannt. Gut dreißig Frauen sind diesmal gekommen. Hören interessiert, manchmal auch etwas skeptisch der Trainerin zu. Sie ist Ägypterin und erzählt von den Erfahrungen der Frauen am Nil. Eine der Teilnehmerinnen fragt immer wieder nach, widerspricht, zettelt Diskussionen an. Ihrer Stimme nach zu urteilen ist sie um die Dreißig. Ihr Gesicht ist nicht zu sehen. Sie trägt einen schwarzen Schleier. Wie viele Frauen in Katar.

„Erst mal denkt man, dass eine Frau mit Schleier nicht in die Politik passt. Aber warum eigentlich?“, fragt Jihan al-Meer: „Der Schleier ist ja Teil unserer Gesellschaft. Warum soll nicht eine verschleierte Frau im Parlament sitzen?“ Bei den Wahlen werde sich zeigen, ob die Wähler bereit sind, für eine Kandidatin zu stimmen, der sie nicht ins Gesicht schauen können. „Vielleicht gewinnt sie gerade mit dem Schleier konservative Wähler“, sagt sie.

Alles ist neu und muss ausprobiert werden: Die Wahlen im kommenden Jahr sind die ersten Parlamentswahlen überhaupt in Katar. 1996 verkündete der Emir, dass er künftig eine gewählte Volksvertretung in seinem Land wünsche und dass sich Frauen an dieser beteiligen sollten. „Es ist ja in vielen der Länder am Golf so, dass die Regierenden weitsichtiger sind als ihre Bevölkerung“, erklärt Jihan al-Meer. Der Emir beschließt Neuerungen und lässt sein Volk dann in Trainingskursen und Medienkampagnen sich darauf vorbereiten. Demokratisierung von oben. 1998 zeigte sich dann, dass die Sache mit dem Frauenwahlrecht in der Praxis doch nicht so einfach ist: Bei den Kommunalwahlen kandidierten sechs Frauen – eine davon war Jihan al-Meer. Doch keine von ihnen bekam genügend Stimmen: „Wir müssen jetzt zusehen, dass es beim nächsten Mal besser wird“, sagt die Kandidatin.

Also sucht sie Erfahrungen aus anderen Ländern und organisierte in Doha eine internationale Konferenz: Ministerinnen, Parlamentarierinnen, Frauenaktivistinnen und Wissenschaftlerinnen aus arabischen Ländern, aber auch aus Europa reisten an. Was können wir tun, um die Rolle von Frauen in der Politik zu stärken? Darüber wurde drei Tage lang heftig diskutiert. Größter Streitpunkt: die Quote. „Ich denke, es wäre gut, eine gewisse Anzahl von Sitzen für Frauen zu reservieren. Das ist die einzige Chance, Frauen tatsächlich in das Parlament zu bringen“, sagt Masuma Mubarak, Professorin an der Universität von Kuwait.

Wahlrecht per Dekret

Frau Mubarak weiß, wovon sie spricht. Der kuwaitische Emir erließ 1999 ein Dekret: Schenkte den Frauen das Wahlrecht, und die für Golfmaßstäbe starke kuwaitische Frauenbewegung jubelte. Wenige Monate später scheiterte der Erlass im kuwaitischen Parlament. Die Männer stimmten dagegen. „Unsere Gesellschaft war wohl noch nicht reif“, sagt Kawther al-Jouan: „Traditionen sind noch sehr stark bei uns. Außerdem hatten die Parlamentarier wohl Angst, dass sie selbst ihren Sitz an eine Frau verlieren könnten. Doch wir werden nicht aufgeben“. Sie ist Rechtsanwältin und versucht jetzt das Wahlrecht vor dem Verwaltungsgericht zu erstreiten. Im Juni soll dort eine Entscheidung fallen.

Auch in Bahrain ist die Demokratisierung ins Stocken geraten: Vor gut einem Jahr erließ der bahrainische Herrscher eine Verfassung: freie Wahlen, politischer Freiraum, weitgehende Meinungsfreiheit waren darin verankert. Aufbruchsstimmung. Nichtregierungsorganisationen, politische Clubs und auch Frauenorganisationen sprossen aus dem Boden. Doch im Februar diesen Jahres überlegte es sich der Emir anders: Er wollte nicht mehr Emir sein, nannte sich jetzt König, und die Rechte des Parlaments wurden drastisch eingeschränkt, bevor es überhaupt gewählt wurde. Die Bahrainis protestierten, gingen auf die Straße und forderten ihre Rechte zurück.

Zufrieden unmündig

„Es ist hier so eine Sache mit der Forderung nach politischen Rechten der Frau. Klar ist das wichtig, aber in vielen unserer Länder dürfen ja noch nicht einmal die Männer wählen“, sagt Ibtisam Sehel. Sie ist Professorin für Politikwissenschaft in den Vereinigten Arabischen Emiraten. In ihrem Land sowie im angrenzenden Saudi-Arabien gibt es bisher kein gewähltes Parlament, von Frauenbeteiligung ganz zu schweigen. „Unsere Länder sind ja zum großen Teil noch sehr jung“, sagt sie: „Wir sind unglaublich schnell unglaublich reich geworden. Unsere Großeltern haben ja zum Teil noch richtig im Zelt gelebt. Dann kam das Öl, und die Bevölkerung wurde in die Zukunft katapultiert. Die Menschen akzeptieren ihren Herrscher als weisen Führer. Vorausgesetzt er macht keine groben Fehler und gibt ihnen einen ordentlichen Teil des Ölreichtums“, erklärt sie.

Dieser Gesellschaftsdeal, bei dem die Bevölkerung zwar keine politischen Rechte hat, sich aber sonst alles kaufen kann, ist jetzt allerdings zunehmend in der Krise: Der Reichtum ist nicht mehr so unermesslich. Außerdem haben viele junge Menschen eine gute Ausbildung und wollen politisch mitbestimmen. Das gilt ganz besonders für die Frauen.

Wenn Jihan al-Meer in ihr Institut für Biochemie an der Universität von Doha geht, dann trifft sie dort fast nur Frauen: 70 Prozent sind es auch in den sonst eher männlich dominierten naturwissenschaftlichen Fächern. Von 13 Professorenstellen sind nur vier von Männern besetzt. „Männer haben keine Lust, so viel Zeit mit dem Studium zu vergeuden“, erklärt Ibrahim Abdallah, ein Student der Elektrotechnik: „Wir wollen schnell fertig sein und schnell Geld verdienen. Die schwierigen Fächer überlassen wir den Frauen“, sagt er.

Dass die Frauen nicht nur die Universität erobert haben, sondern auch langsam traditionelle Männerdomänen – Caféhäuser etwa – unsicher machen, sieht der junge Mann eher kritisch. Während Frauen bis vor kurzem das öffentliche Rauchen von Wasserpfeifen in Katar bei Strafe verboten war, gibt es jetzt bereits mehrere Cafés, in denen Grüppchen von Mädchen und jungen Frauen in wabernden Rauchschwaden sitzen. Ganz normal.

„Ich glaube nicht, dass das gut ist“, sagt der knapp zwanzigjährige Student. Diese ganzen Umbrüche gehen ihm doch etwas zu schnell. Bis vor sieben Jahren durfte seine Mutter noch nicht einmal Auto fahren. Und jetzt muss er fürchten, dass ihm eine besser qualifizierte Frau einen der zur Zeit sehr raren lukrativen Jobs wegschnappt.

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