: Wahlfamilien & Family-Values
Seit Einführung der Eingetragenen Lebenspartnerschaft voriges Jahr haben sich mehr als dreitausend schwule und lesbische Paare eintragen lassen. Drei Prozent der schwulen Männer haben dieses Recht in Anspruch genommen, bei lesbischen Frauen liegt die Quote etwas höher.
Nach dem Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes „Leben und Arbeiten in Deutschland“ für 2001 wurden nur knapp fünfzigtausend gleichgeschlechtliche Paare gezählt. Gut zwei Fünftel der Paare sind Männer, und etwa ein Siebtel lebt mit Kindern unter achtzehn Jahren zusammen. Aufgrund der unsicheren Datenlage (viele Schwule und Lesben geben keine Auskunft über ihre sexuelle Orientierung) fällt die Zahl der Kinder mit 8.300 sehr gering aus.
Als relativ gesichert gilt demgegenüber, dass über eine Million Kinder in Deutschland mit mindestens einem homosexuellen Elternteil leben. Sehr oft stammen diese Kinder aus früheren heterosexuellen Beziehungen.
Neun von zehn Kindern werden in einer Beziehung klar einem Partner zugeschrieben, egal ob homo oder hetero. Auch in puncto Alter, Bildungsgrad oder Einkommen gibt es keine großen Unterschiede. Allerdings gilt die Arbeits- und Erziehungsaufteilung in gleichgeschlechtlichen Beziehungen als partnerschaftlicher.
Bei etwa der Hälfte der vier Millionen deutschen Lesben und Schwulen war das Coming-out von irritierenden bis traumatischen Erlebnissen begleitet. Nur fünfzig Prozent der Betroffenen leben danach ohne nachhaltige psychische Beschädigungen. Der Anteil der Homosexuellen, die an Suizid zumindest einmal gedacht haben, liegt nach einer Studie des Landes Nordrhein-Westfalen bei etwa einem Viertel.
Laut einer 1998 durchgeführten Studie unter Schwulen, Lesben und Bisexuellen leben 55 Prozent als Single. Aber nur zwölf Prozent tun das wirklich gern. Über 76 Prozent wollen lieber eine Partnerschaft. Feste BeziehungspartnerInnen sagten zu 84 Prozent aus, sie fänden die Vorstellung, mit ihrem/ihrer PartnerIn alt zu werden, schön. Bei den offenen Beziehungen waren das noch 72 Prozent.
Die Herkunftsfamilie spielt im Leben der meisten Befragten keine große Rolle mehr. Für nur noch knapp drei Prozent der Lesben und knapp acht Prozent der Schwulen sind die Blutsverwandten wichtiger als die so genannte Wahlfamilie der eigenen Freunde. Mit zunehmendem Alter nehmen diese Zahlen noch weiter ab.
Der Wunsch nach eigenen Kindern nimmt immer mehr zu. Während früher für viele das eigene Coming-out mit dem Verzicht auf Kinder einherging, wollen laut Umfrage vierzig Prozent der Frauen und dreißig Prozent der Männer mit Kindern zusammenleben. Mit über 46 Prozent ist die Bereitschaft für Kinder bei den unter Zwanzigjährigen am höchsten.
Der Gay Community fühlt sich gut die Hälfte aller Schwulen und Lesben angehörig. Einen größeren Stellenwert scheint mittlerweile die (Wahl-)Familie für sie einzunehmen, die sich am Ende doch über traditionelle Werte wie Nähe, Vertrauen, Geborgenheit, Dauerhaftigkeit definiert. Das Gros der Lesben und Schwulen versucht stetig (und oft erfolglos), die Blutsverwandten in ihre Wahlverwandtschaften zu integrieren.
FABIAN KRESS
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