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Die Mitternachtsopposition

Im Abgeordnetenhaus kommt tief in der Nacht Spannung auf, als auch die PDS Finanzsenator Thilo Sarrazin kritisiert. Doch die scharfe Rüge des Rechnungshofes bleibt ohne parlamentarische Folgen

„Sarrazin istein Mann dersofortigen Tat“

von STEFAN ALBERTI

Der Akt der Unterwerfung unter die Koalitionsdisziplin ist um 23:15 Uhr perfekt. Deutlich stellen sich SPD und PDS in der Nacht zu gestern hinter Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD). Mit 61 zu 73 Stimmen scheitert ein Missbilligungsantrag von CDU, FDP und Grünen, ohne parlamentarische Folgen bleibt für Sarrazin eine scharfe Rüge des Landesrechnungshofs. Als rechtlich unzulässig hat der kritisiert, dass der Senator ohne Ausschreibung einen Auftrag an eine ihm bekannte Beratungsfirma vergab. Zur „Achtung vor der Verfassung“ mahnt die Behörde in ihrem Bericht.

Die SPD-Fraktion schickt Iris Spranger in die halbstündige Debatte, die am Ende der Tagesordnung aufgerufen wird, als sich die Besuchertribünen längst geleert haben. Ablehnen soll sie die Missbilligung, verteidigen den Parteifreund auf der Senatsbank. Sarrazin selbst sitzt dort zurückgelehnt in seinem Stuhl, äußerlich die Gelassenheit demonstrierend, mit der er angeblich der Kritik begegnet. Selbst eine Abstimmungsniederlage wäre nur eine Art erhobener Zeigefinger des Parlaments, anders als bei einem Misstrauensantrag, bei dem es um seinen Job ginge.

Die Sozialdemokraten haben im Abgeordnetenhaus nicht viele gute Redner, und zu denen gehört Spranger auch in dieser Nacht nicht. Sie, die haushaltspolitische Sprecherin der Fraktion, hält die ganze Sache für zu hoch gehängt. Der Opposition wirft sie vor, sich als rechtliche Instanz aufzuspielen, nur von eigener haushaltspolitischer Ahnungslosigkeit ablenken zu wollen.

„Wahrung der Verhältnisse“ will sie. Der Senator hat es ihrer Meinung nach doch gut gemeint, als er nur Wochen nach seinem Amtsantritt ohne Aussschreibung jenes umstrittene 200.000 Euro teure Gutachten zur Umstrukturierung der Finanzverwaltung in Auftrag gab. Dass das vorbei am Parlament in einer haushaltsfreien Zeit geschah, in der sich alle Senatsverwaltungen fast jeden Bleistift von Sarrazin genehmigen lassen müssen – für Spranger kein Thema. Man habe ja schon länger gemerkt: „Sarrazin ist ein Mann der sofortigen Tat.“

Ihre Rede lässt die Opposition laut johlen. Grinsend dreht sich CDU-Fraktionschef Frank Steffel zu seiner Stellvertreterin Monika Grütters um. „Damit kannste alles erklären.“ Die Mienen der SPD-Abgeordneten sind von der Pressetribüne nicht eindeutig zu sehen, ihre Hände schon eher. Und die bleiben auf vielen Sitzen ruhig. Müde ist der Applaus, als Spranger das Mikro frei macht.

Dort spricht Steffel, der im Februar schon vergeblich den Regierenden Bürgermeister für angeblichen Wahlbetrug missbilligen lassen wollte, von einem einmaligen Vorgang in seiner über zehnjährigen Parlamentszeit. Aufklärung will er über das Verhältnis zwischen dem beauftragten Beratungsunternehmen und Sarrazin, der die Firma aus seinem früheren Job bei der Deutschen Bahn kennt. Wie Grünen-Fraktionschefin Sibyll Klotz legt Steffel nahe, dass Sarrazin mit dem Auftrag einen alten Bekannten versorgt haben könnte.

Das Gelächter über die Rede von SPD-Frau Spranger klingt noch im Ohr, als der Koalitionspartner PDS den wortgewandteren Benjamin Hoff ans Rednerpult schickt. „Der Rechnungshof hat aus meiner Sicht sauber argumentiert“, sagt er. „Nicht akzeptabel“ sei das Handeln des Senators. Spontane Stille. So etwas wie Spannung kommt auf. Die PDS wird doch nicht etwa den Missbilligungsantrag stützen? Nein, Hoff folgt der Methode „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“: Man gehe davon aus, dass der Senator die Kritik angenommen habe und werde dem Missbilligungsantrag nicht zustimmen.

Der Senator aber sagt gar nichts davon, dass er irgendwelche Kritik annimmt. Er äußert sich in dieser Debatte überhaupt nicht, genauso wenig wie der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit. Sarrazin kann sich seiner Sache vor der Abstimmung offenbar sicher sein, so aufreizend gelassen bleibt er in seinem Stuhl zurückgelehnt.

Hoffs Kotau aber ist eine Vorlage für FDP-Fraktionschef Martin Lindner, der als Letzter ans Mikro tritt. Das könne der PDS-Mann seinen Wählern nicht verkaufen, dass er zwar Sarrazins Verhalten in seinen Worten missbilligt, aber in der Abstimmung kneift. „Das“, sagt Lindner“, ist mindestens so missbilligenswert wie das Verhalten des Senators.“

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