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Hanf statt Fisch: Die Revolution in der Bodden-Küche

Aus Hanf können nicht nur Joints und Fußbodenbeläge, sondern auch leckere Nudeln und Puddings hergestellt werden. In Born ist das verruchte Kraut Küchenmeister

„Heute kein Fisch“, murmelt freundlich der Kellner vom Weißen Hirsch. Dabei liegt das alte Gasthaus im Dörfchen Born auf der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst nur wenige Kilometer von der Ostsee entfernt. In Sichtweite plätschert der Bodden. Wer ans Meer reist, will Fisch. Unsere Hoffnung aber welkt wie der Wiesenstrauß auf dem blank gescheuerten Kieferntisch. Wir hocken auf der hölzernen Endlosbank und denken: Was gibt es da noch zu grinsen?

Doch nichts zu machen. „Kann der Fischer nicht aufs Wasser, gibt es eben keinen Fisch“, bedauert nun auch die Wirtin. Bevor uns die Woge der Resignation zur Ausgangstür spült, erreicht uns die Botschaft: Alles was hier auf den Teller kommt, ist frisch. „Stammt von hiesigen Ökohöfen zumeist mit eigenem Produktionskreislauf“, beteuert man uns in Hinblick auf den letzten Ökoskandal.

Als Elke Neugebauer 1999 das in den 30er-Jahren erbaute Wirtshaus übernahm, fuhr sie durch das ganze Land, Lieferanten für ihr lukullisches Programm zu suchen: für Käse nach Rügen, für Brot zum Ökohof Krummendorf, für Rindfleisch zum Demeterhof Zandershagen. Nur für die Weinkarte ist sie etwas weiter gereist und kehrte mit Tropfen aus dem Badischen, von der Mosel und aus Rhein-Hessen zurück.

Also werfen wir einen Blick in die Speisekarte und trauen unseren Augen kaum. Hanf ist hier Küchenmeister. Natürlich Cannabis sativa, die THC-arme Variante der berauschenden Maulbeergewächse. Als gerösteter Hanfsamen in Sauerampfersuppe; als Öl, Mehl oder Schrot ist er der Clou vieler Speisen. Durch den hohen Anteil an Fett- und Aminosäuren soll er gesund und nahrhaft sein.

Die Revolution in der Borner Küche begann schon vor etlichen Jahren mit den Köchen Karl-Heinz Sensen und Ralf Hiener, dessen Hanf-Kochbuch noch auf dem Tresen zum Verkauf ausliegt. Inzwischen hat Hiener Born verlassen und liefert als Gärtner der „Essbaren Landschaften“ die jungen Lindenblätter, Brennnesseln oder Vogelmiere für den fast schon legendären Borner Wildkräutersalat. Frisch und knackig. Natürlich mit Hanföl angerichtet und mit nussig-herben Hanfkörnern bestreut. Selbst dem mit Gemüse gefüllten Pfannküchle geben die winzigen grauen Samen Biss.

Wir sind high, wohlgemerkt nicht vom THC, sondern vor Freude über diese unerwartet fantasievolle und leichte Küche mitten im Vorpommerschen. Selbst traditionelle Gerichte wie Rippenbraten mit Backpflaumen und Apfel hat man hier magenverträglich und appetitlich den modernen Essgewohnheiten angepasst.

Nach einem köstlich zarten Darßer Rehbraten mit handgeschabten Hanfspätzle sind die Hanfschokoknödel lustvoller Abschluss. Dazu in vorgewärmten Tassen servierter heißer Espresso. Der hätte uns sogar in Berlin überrascht. Längst haben wir die Fischflaute verziehen, nun auch die lange Wartezeit.

Am Wochenende ist die schlichte wintergartenähnliche Wirtsstube rappelvoll. Im Laden kann man sich mit dem Kauf von Hanf-Massage-Öl „Erotic“, Hanftee, aber auch vielen Sanddornprodukten die Zeit vertreiben.

Sanddorn ist das zweite Standbein der experimentierfreudigen Küche im „Weißen Hirsch“. Das nächste Mal, wenn der Fischer wieder aufs Wasser kann, werden wir Zander und Hanfschokoknödel auf Sanddornsoße bestellen. BAH

Zum Weißen Hirsch, Chausseestraße 28, 18375 Born, Tel./Fax 03 82 34-4 35, 12–15 und 17–24 Uhr

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