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ulrike winkelmann über GolfMonster an Missgunst

Die Warenwirtschaft macht vor keiner Barriere halt – und gefährdet das Seelenheil von immer mehr Mitmenschen

Die neoliberale Globalisierung hat meine Freunde jetzt eiskalt erwischt. Nein, es geht mir nicht um das Bewusstsein, dass unsere Turnschuhe von Kindern in Fernost genäht werden, und auch nicht um das ewige Für und Wider der Malariaimpfung vor der Weltreise. Wenn ich mich im Kreise meiner Lieben umschaue, dann scheint es vor allem um eines zu gehen: das nagende Gefühl, nicht nur bei H&M, sondern im ganzen Leben mit Fragen des Geldaus- und -weitergebens allein gelassen zu werden. Weder Mami und Papi noch ein staatsmonopolistisches Gebilde sagen, was geht und was nicht. Und das Resultat ist nicht Freiheit. Sondern Geiz und Kleinmut.

Schon vor geraumer Zeit wurde ich aufmerksam, als K. nach dem dritten Bier aus heiterem Himmel die Vorzüge eines US-amerikanischen Finanzdienstleisters zu schildern begann, „der für dich ausrechnet, welche Altersvorsorge und welche Versicherung am günstigsten ist! Da kann man unheimlich viel Geld sparen!“ Wie viele der nach BAT bezahlten Kröten, die sie seit einem halben Jahr auf ihrer halben Seniorenhilfswerkstelle verdient, sie genau dadurch sparen will, dass sie einen persönlichen Unternehmensberater engagiert, war mir nicht klar. Deutlich wurde aber, dass die verwirrende Anzahl von Versicherungen, die man überhaupt abschließen kann, sie gehörig aus der Kurve warf. Und ich wurde den Eindruck nicht los, dass sie es mir als Unreife und Nichterwachsenwerden zurechnete, dass ich darauf beharrte, weiter über Probleme des Sandalenkaufens zu reden. Der Abend endete in einem Missklang. Nun gut, das passiert.

Beunruhigt war ich jedoch, als mein herzensguter Freund T. anrief, einzig, um mir zu erzählen, dass er plötzlich Wut auf seinen Nachbarn hege und darum die Krankenkasse wechseln wolle. Nach vielen zufriedenen Jahren in Studium und Stipendium ist ihm aufgefallen, dass er in einer so genannten Solidargemeinschaft steckt, seiner Krankenversicherung also, in der die jungen Gesunden für die alten Kranken mit zahlen. Und nicht nur das – es zahlen auch die arbeitenden Fitten für die nicht arbeitenden Unfitten. Und T.s Nachbar macht den ganzen Tag nichts anderes, als „herumzusumpfen, Dosenbier zu trinken und Elektro-Dart zu spielen. Und wenn man ihn im Treppenhaus trifft, klagt er mit Ende zwanzig über Herz-Kreislauf-Probleme!“

T. schäumte und vermeldete am Telefon das starke Bedürfnis, zu seinem Nachbarn herüberzulaufen und ihm zu erklären, dass er sich verdammt noch mal um seine Gesundheit kümmern soll, weil er sonst solche Nichtskönner wie ihn in seiner Allgemeinen Ortskrankenkasse allein lässt und stante pede in eine dieser kleinen Betriebskassen wechselt, wo die T.s dieser Welt unter sich sind. Und nicht mehr für solche Trottel wie ihre Nachbarn, die mit ihrem Körper nichts anzufangen wissen, mit zahlen. Nur mühsam und mit dem Argument, dass es ihm spätestens im Himmel gedankt werde, wenn er schon zu Lebzeiten für die selbst verschuldeten Wehwehchen von Leistungsverweigerern aufkommt, konnte ich ihn besänftigen.

Dabei zahlt T. noch nicht einmal Steuern. Anders als C. Der zahlt neuerdings Steuern, was aus dem Umwelt-/Datenschutz-/Antirassistisch-Vielfachbewegten ein Monster an Missgunst gemacht hat. Seine Welt teilt sich nicht mehr in Gerechte und Ungerechte, sondern in Leistungserbringer und Leistungsbezieher auf. Selbst Hunde ohne Hundesteuermarke registriert er plötzlich stirnrunzelnd. Neulich fragte er alarmistisch: „Weißt du eigentlich, was ein Gerät zur Entfernung platt getretener Kaugummis vom Asphalt die Kommune kostet?!“ Wusste ich nicht – sehr wohl aber wusste ich, dass es um sein Seelenheil geschehen war.

Um meines übrigens auch. Mit gewissem Unbehagen erfüllt es mich zum Beispiel, dass meine Freundin F. nicht nur Sozialhilfe bezieht, sondern damit auch in einer weit größeren Wohnung wohnt als ich, die außerdem vom Eigentümer saniert wurde. Dass sie mir angeboten hat, am Wochenende mit auf ihrem Balkon zu sitzen, hilft mir darüber nicht wirklich hinweg. Aber bei so einer Gelegenheit versuchte ich ihr das Problem neulich zu erklären: „Neoliberale Globalisierung ist, wenn Menschen mit sozialdemokratischen Herzen lesen müssen, dass sie blöd sind, weil sie nur auf das Feld mit den Nettobeträgen gucken. Und sich nicht darum kümmern, wer eigentlich das Geld zwischen Brutto und Netto ausgibt.“ F. wackelte mit dem Kopf. Ich wurde den Eindruck nicht los, dass sie es mir als Unreife und Nichterwachsenwerden zurechnete, dass ich darauf beharrte, weiter über Probleme des Geldverdienens und -umverteilens zu reden. Der Abend endete mit einem intensiven Gespräch über Sandalenkäufe. Das war schön.

Fragen zu Golf? kolumne@taz.de

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