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Der König und das Perlhuhn

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aus Yendi NADINE BILKE

Der Ya-Na, der König der Dagomba, schenkt mir zum Abschied ein Perlhuhn. Das Tier ist an den Füßen und an den Flügeln zusammengebunden. Nur sein Kopf bewegt sich in einem grotesken rechten Winkel zum Körper auf und ab. Mit den Füßen des Huhns in der Hand laufe ich durch Yendi, die Königsstadt im Norden Ghanas. Ich komme mir komisch vor, weil ich ein Huhn trage, die Menschen auf der Straße finden mich komisch, weil ich weiß bin. Mein Huhn und ich entfliehen schließlich ihren Blicken, indem wir in eines der drei Taxis von Yendi steigen. In der Missionsstation der Church of Christ gebe ich das Geschenk meinem Gastgeber. Der Hausmeister verspricht, das Tier im Käfig vor der Tür unterzubringen. Aber er vergisst es. Das Huhn liegt einen Tag gefesselt im Schuppen. Als ich am nächsten Abend davon erfahre, fühle ich mich schuldig. Inzwischen hat die Familie des Hausmeisters das Tier gegessen.

Das böse Omen

Hühner haben eine mystische Bedeutung in den Ritualen im Norden Ghanas. Die Mehrheit der Menschen ist muslimisch, aber das hat die traditionellen Religionen nicht verdrängt. Das Orakel gibt Antwort auf die großen Fragen des Lebens – oft in Form eines Huhns. Verendet das Huhn auf dem Bauch, nachdem es geköpft wurde, heißt die Antwort „Ja“, liegt es auf dem Rücken, sagt das Orakel „Nein“. In der trostlosen Dürre im Norden ist es schwer, sich diesen Mythen zu entziehen. Ob mein Huhn auf dem Bauch oder auf dem Rücken starb, weiß ich nicht, aber das Schicksal des königlichen Perlhuhnes scheint ein böses Omen gewesen zu sein.

Einige Tage später stürmen Bewaffnete den Gbewaa Palast in Yendi. Sie kommen in der Nacht, sie köpfen König Ya-Na Yakabu Andani II., töten seine Ältesten, brennen sein Haus und die Hütten seiner Frauen nieder. Die Menschen fliehen aus der Königsstadt, nehmen nur mit, was sie tragen können.

Ghana gilt als politisch und wirtschaftlich stabilstes Land Westafrikas. Es hat einen demokratischen Regierungswechsel hinter sich; in der Hauptstadt Accra können Reiche in italienischen Restaurants essen. Daneben und dazwischen gibt es aber noch das andere Ghana – das Ghana der Könige, der Häuptlinge und der Magier. Vor allem im Norden des Landes haben sie große Macht.

In den Tagen vor den Morden ist es ruhig in Yendi. Eine holprige Piste führt in die Königsstadt, nur der letzte Kilometer vor der Stadt ist asphaltiert. „Das war ein Wahlkampfgeschenk der Regierung“, sagt Mohammed, ein junger Schuhverkäufer. Wir sitzen vor seinem Laden und warten darauf, dass der Bezirkschef von Yendi von einer Beerdigung zurückkommt. „Der Bezirkschef ist mein Onkel, ich kenne ihn gut“, prahlt Mohammed. In Yendi ist jeder mit jedem verwandt, ghanaische Familien sind groß, vor allem die des Königs. „Der hat über 50 Frauen, so viele, dass ihm Freunde dabei helfen müssen, ihre Bedürfnisse zu befriedigen.“

Als der Pick-up des Bezirkschefs endlich vorbeifährt, kann Mohammed ihn mit seinem Winken nicht stoppen. So gut sind die Beziehungen zum Onkel offenbar auch nicht. Dem Schuhverkäufer scheint das aber wenig auszumachen. „Dann fährt mein Freund dich eben auf dem Motorrad hin.“ Schon sitze ich hinten auf der klapprigen Geländemaschine, der Fahrer weicht den vielen Fußgängern und einigen Radfahrern aus, die hinter uns Staub atmen müssen.

Die Bezirksverwaltung arbeitet im größten Haus Yendis, einem vierstöckigen Bau. An einigen Seiten hängen Stahlträger heraus, im Waschraum steht das Waschbecken lose auf dem Boden, fließendes Wasser gibt es nicht. Das Büro des Bezirkschefs allerdings ist vollständig eingerichtet, mit großem Schreibtisch und Polstersesseln. „Nein, bitte keine Fotos, bitte kein Diktiergerät.“ Der Kampf um den Thron der Dagomba, das sei ein delikates Thema. Aber reden will Mohammed Habibu Tijani trotzdem. Er scheint erleichtert, dass er eine Außenstehende gefunden hat, der er seine Sorgen beichten kann. „Ja, wir haben einen Herrschaftskonflikt im Reich der Dagomba, und Yendi, als traditionelle Hauptstadt, muss die ganze Last tragen.“ Tijani spricht leiser. Wenn ein Angestellter sein Büro betritt, verstummt er. Im Flüsterton und mit kurzen Pausen höre ich die Geschichte vom Streit zwischen Brüdern.

Um den Thron der Dagomba kämpfen seit Jahrzehnten zwei Zweige einer Familie. 1974 vertrieb General Acheampong mit seinem Militärregime Ya-Na Mahamadu Abdulai von seinem Thron und setzte Ya-Na Yakubu Andani II. ein. Abdulai aber beharrte auf seinem Anspruch. Seine Familie, die Abudu, zogen vor Gericht. Die Richter fühlten sich außerstande, einen König zu entmachten. Sie entschieden, dass der Thron, der auf Lebenszeit besetzt wird, zwischen den Familien rotieren soll. So lebt der Ya-Na der Andani weiterhin im Palast, der Ya-Na der Abudu erwartet außerhalb den Tod des anderen.

Das Loyalitätenschema

T.J., wie Bezirkschef Tijani genannt wird, ist ein Abudu, und er wartet ebenfalls. Er lässt deutlich erkennen, dass die Abudu nach fast 30 Jahren Andani-Herrschaft ungeduldig werden. Doch das darf er außerhalb seines Büros niemals zeigen. Um sich nicht zu verheddern im Netz der Abhängigkeiten und Loyalitäten, hat er ein Schema gemalt. In schiefen Kästchen hat er mit Kugelschreiber die Menschen beider Clans eingetragen, die er konsultieren muss, bevor er eine Entscheidung treffen kann. Die Zeichnung füllt ein DIN-A4-Blatt.

Die Männer der Andani-Familie reden nicht so offen über den Streit um den Thron. „Niemand muss sich deswegen Sorgen machen“, erklärt Salifu Tea. Der alte Freund und langjährige Berater des Königs empfängt seine Gäste in seinem Familienhaus direkt neben dem Markt. Nur noch einmal spricht er über den Machtkampf. Fast unbewusst gibt er zu, dass nicht alle in Yendi seinem verehrten König gehorchen. „Wie groß ist denn Ihre Familie?“, frage ich. „23 Kinder habe ich. Wie viele Frauen ich hatte, kann ich nicht sagen, jetzt sind noch zwei bei mir.“ Der alte Mann macht eine Pause. „Wenn Sie zum Beispiel eine Frau des anderen Clans heiraten, sollten Sie sie nicht zu lange im Haus behalten, sonst könnten Sie vergiftet werden.“

An der Bushaltestelle, die gleichzeitig die Tankstelle ist, erfahre ich noch mehr über diesen Streit der beiden Familien. „Wie komme ich zum König?“, frage ich. Aber auf diese einfache Frage weiß der junge Mann mit vor Dreck starrenden Hosen keine einfache Antwort. „Zu welchem König wollen Sie denn, zum großen oder zum kleinen?“ – „Ich denke, zum großen.“ Die Antwort genügt dem Mann, er nimmt galant meinen Rucksack und geht voran.

Der grüne Schimmel

Auf dem Weg zum Palast treffen wir viele Würdenträger. Die Gesellschaft der Dagomba ist klar hierarchisch aufgebaut, in jedem Dorf und in jeder Stadt regiert ein traditioneller Herrscher, an der Spitze der Machtpyramide steht der König. Vor dem runden Steinhaus der traditionellen Verwaltung begrüßt mich Tung-Lana Mahamadu, der Sekretär des Ya-Na. Mahamadu ist selbst Oberhaupt eines Dorfes, ein mächtiger Mann.

Mein Weg in den Palast führt über Geld, 70.000 Cedis, etwa 10 Euro, dienen als Gastgeschenk für den König und seine Ältesten. Dann darf ich mich auf den Weg machen zum König der Dagomba. „Fußgänger und Radfahrer aufgepasst, das Tragen von Sandalen ist im Palast nicht erlaubt.“ Das kleine, weiße Schild soll wohl Respekt einflößen. Der Palast, das sind Dutzende Hütten für die Frauen und Kinder des Königs. In der Mitte liegt das Haus des Königs, das aus mehreren runden Bauten besteht, die miteinander verbunden sind. Am höchsten Dach hängt eine Satellitenschüssel. Der erste Rundbau ist ein dunkler Stall, dort frisst ein mit grüner Farbe bemalter Schimmel trockenes Heu, daneben ist eine Ziege angebunden. Ein Mann mit glasigen Augen führt mich in einen Innenhof. Ich muss die Schuhe ausziehen, barfuß darf ich schließlich das Gemach des Königs betreten.

Ya-Na Yakubu Andani II. lächelt von seinem Diwan auf mich herab. Der Ya-Na thront auf einem rot gemusterten Teppich, über ihm hängen eine alte Wanduhr und ein Bild des Präsidenten. An der Wand steht ein halbhohes Regal mit einem großen Fernseher und einem Videorecorder. Mit seinem weißen Kinnbart und seinen kleinen, zwinkernden Augen sieht der König der Dagomba aus wie ein freundlicher Onkel. Und doch kann niemand in Dagbon, in seinem Reich, ohne diesen Mann wichtige Entscheidungen treffen, auch die Regierung nicht. In Schlüsselpositionen des ghanaischen Kabinetts sitzen ohnehin viele Dagomba, so hat sich die Volksgruppe nationalen Einfluss gesichert. Zudem gehört ihm das Land – und alles darauf und darunter. Ob eine Hütte gebaut oder ein Wasserloch gebohrt wird, die Kontrolle hat letztlich der König.

Der Biss in die Kolanuss

„You are welcome“, ruft der Ya-Na aus. Zu seinen Füßen schnipsen seine Ältesten rhythmisch mit den Fingern. Alle hocken auf dem Boden, nur ich darf auf einem niedrigen Stuhl sitzen. Ich fühle mich unwohl, alle starren mich an. Wie verhält man sich als Gast eines ghanaischen Königs? Unschlüssig halte ich die Kolanuss in der Hand, die mir einer der Ältesten gereicht hat. Schließlich beiße ich hinein. Das scheint richtig gewesen zu sein. Wieder dieses rhythmische Schnipsen. Der Ya-Na fordert mich auf, meine Fragen zu stellen. „Was ist das Schwierigste daran, ein Herrscher zu sein?“, will ich wissen. Den König scheint diese Frage zu amüsieren. Zunächst belehrt er mich, dass er diese traditionsreiche Aufgabe schließlich von seinen Vorvätern geerbt habe. Dann kommt er doch noch zu meiner Frage, bleibt aber majestätisch vage: „Es ist nicht leicht, ein König zu sein“, sagt er. „Es gibt immer einige, die vom rechten Weg abkommen.“

Gesprächig wird der Ya-Na erst, als ich nach den Problemen seines Volkes frage. Armut, Gesundheit und Ausbildung, das seien die großen Herausforderungen, erklärt er und wünscht sich Hilfe aus dem Ausland. Eine halbe Stunde später trägt ein schlaksiger Junge ein Perlhuhn herein. Der König erklärt: „Du musst daraus Suppe kochen und mir einen Teller davon bringen.“ – „Ich soll kochen, hier und jetzt?“ Alle lachen, das Huhn fiept leise. Mein Übersetzer grinst: „Das musst du heutzutage gar nicht mehr. Das ist doch nur die Tradition.“ Verwirrt und erleichtert trage ich mein Huhn hinaus.

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